Deutschland liegt in der Mitte
Europas. Seine Ausdehnung und seine staatsrechtliche Stellung
waren im Laufe der Geschichte vielen Wandlungen unterworfen.
Infolge des West-Ost-Konflikts war Deutschland von 1949 bis 1990
geteilt in die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche
Demokratische Republik. Die Wiedervereinigung wurde am 3. 10. 1990
vollzogen.
Landesnatur
Deutschland wird im Süden von den Alpen und im
Norden von der Nord- und Ostsee begrenzt. Nach Westen und Osten
gibt es keine natürliche Abgrenzung. Deutschland ist ein
Übergangsgebiet zwischen dem vom Atlantik bestimmten Westeuropa
und dem kontinentalen östlichen Europa.
Oberflächengestalt
Aufgrund der Oberflächenformen gliedert sich
Deutschland in das Alpenvorland mit dem Alpenrand, das
Mittelgebirge und das Norddeutsche Tiefland.
Der deutsche Alpenanteil beschränkt sich auf
die zu den Nördlichen Kalkalpen gehörenden Allgäuer,
Bayerischen und Salzburger Alpen zwischen Bodensee und Salzach.
Dem Alpenrand sind hügelige Moränengebiete mit Rinnenseen (aus
eiszeitlichen Gletschern entstanden) und weite Schotterplatten
vorgelagert, die zu einem Hügelland aus tertiären Ablagerungen
überleiten. Die Nordgrenze des Alpenvorlandes bildet die Donau
Im Mittelgebirge wechseln aufgeworfene
Gebirgsschollen mit Faltungszonen, Grabenbrüche und
Senkungsfelder mit Schichtstufen oder vulkanischen Formen. Es sind
engräumige, verschiedenförmige Landschaften, die die Ausbildung
zahlreicher Volksstämme und die Entstehung kleiner Staatswesen
und Territorien lange Zeit begünstigten. Wie ein Gewölbe, dessen
First zur Oberrheinischen Tiefebene eingebrochen ist, erscheinen
die Vogesen und der Schwarzwald mit ihren nördlichen
Fortsetzungen Pfälzer Wald und Odenwald. Die Senke des Kraichgaus
und das untere Maintal leiten über zum Schwäbisch-Fränkischen
Stufenland mit meist fruchtbaren, dicht besiedelten Becken und den
rauen Höhen der Schwäbisch-Fränkischen Alb, im Osten vom
Böhmerwald und Bayerischen Wald begrenzt. In einem Durchbruchstal
zwängt sich der Rhein, die wichtigste Verkehrsader von
Deutschland in Nord-Süd-Richtung, durch das Rheinische
Schiefergebirge, dessen wenig fruchtbare Hochflächen nur dünn
besiedelt sind; die geschützten Täler sind siedlungsreich, durch
Weinbau und Fremdenverkehr bestimmt. Uralte Verkehrsstraßen
durchziehen Hessen, umgehen die alten Vulkanmassive von Vogelsberg
und Röhn und führen durch den Leinegraben bzw. durch das
Weserbergland ins Tiefland. Als hoch gedrückte, zerbrochene
Schollen erheben sich Harz, Thüringer Wald, Fichtelgebirge,
Erzgebirge und Lausitzer Bergland. Zwischen Erzgebirge und Lausitz
durchbricht die Elbe das Elbsandsteigebirge und tritt unterhalb
von Dresden ins Tiefland ein.Das Norddeutsche Tiefland zwischen
den Küsten von Nord- und Ostsee und dem Mittelgebirgsrand ist in
seinem Gesamtcharakter viel einheitlicher. Seine Oberfläche wurde
von der Eiszeit geformt, deren Ablagerungen nur vereinzelt den
Gesteinsuntergrund zu Tage treten lassen. Während die
Ostseeküste meist sandig ist, wird die Nordseeküste von einem
fruchtbaren bodenfeuchten Marschlandstreifen gesäumt. Das
Tiefland ist jedoch nur gebietsweise wirklich eben: In weitem
Bogen zieht der flache Südliche Landrücken von der Unterelbe
über die Lüneburger Heide und den Fläming bis zur
Niederlausitz; im Norden verläuft parallel dazu der Nördliche
Landrücken mit dem Holsteinischen Hügelland und der
Mecklenburgischen Seenplatte. Beiden Endmoränengürteln folgen im
Norden ein flachwelliges, lehmiges Grundmoränengebiet, im Süden
ein breiter Streifen von unfruchtbaren, z. T. verheideten
Sandflächen und die ehemals vermoorten, auf weite Strecken von
den heutigen Flüssen benutzten Urstromtäler, die im Tal von Elbe
und Weser zusammenlaufen und die natürlichen Wege des heute
ausgebauten Wasserstraßensystems darstellen. Weite Buchten
greifen ins Mittelgebirge ein und sind mit ihren Lössböden seit
jeher bevorzugte Siedlungs- und Wirtschaftsgebiete: die Kölner
oder Niederrheinische Bucht zwischen Eifel und Bergischem Land,
die Westfälische oder Münsterländer Bucht zwischen Sauerland
und Teutoburger Wald, die Leipziger Tieflandsbucht zwischen Harz
und Sächsischem Bergland.
Gewässer
Den Abdachungsverhältnissen entsprechend
streben die meisten Flüsse (Rhein, Ems, Weser, Elbe, Oder) nach
Nordwesten zur Nord- und Ostsee. Mit Ausnahme des Rheins, des
größten und wichtigsten Stroms, der eine unmittelbare Verbindung
zwischen Alpenraum und Nordsee schafft, entspringen sie im
Mittelgebirge und sind natürliche Verbindungswege zum Tiefland,
wo sie durch Kanäle miteinander verknüpft wurden. Nur die Donau
mit ihren Zuflüssen gehört zum Einzugsgebiet des Schwarzen
Meeres. Quelle oder Mündung der deutschen Flüsse liegen außer
bei Ems und Weser auf nichtdeutschem Gebiet.
Die stehenden Gewässer sind außer den
Eifelmaaren eiszeitlichen Ursprungs und daher an die Gebiete
ehemaliger Eisbedeckung (Norddeutsches Tiefland, Alpenvorland)
gebunden. In zunehmendem Maße entstanden Talsperren mit
Staudämmen als Hochwasserschutz, zur Regulierung der
Wasserstände und zur Wasserversorgung. Die dem Stauraum nach
größten künstlichen Seen Deutschlands sind der Stausee der
Bleilochtalsperre (obere Saale, 215 Mio. m3), der Rurstausee
Schwammenauel in der Eifel (203 Mio. m3) und der Edersee (202 Mio.
m3).
Klima
Deutschland gehört der gemäßigten Zone an,
mit Niederschlägen zu allen Jahreszeiten. Im Nordwesten ist das
Klima mehr ozeanisch bestimmt (mäßig warme Sommer, relativ milde
Winter) und nimmt nach Osten kontinentalen Charakter an. Mit
zunehmender Kontinentalität wird der Temperaturunterschied
zwischen Sommer und Winter größer (Aachen im Juli 17,5°C,
Januar 1,8°C; Frankfurt/Oder im Juli 18,7°C, Januar 1,0°C). Im
Winter ist die Dauer der Schneedecke sehr verschieden. Auch nach
Süden zu verstärkt sich der kontinentale Klimatyp, z. T.
unterstützt durch das ansteigende Relief. Im Einzelnen wird das
Regionalklima durch die Lage der Gebirgszüge stark abgewandelt:
Die feuchten atlantischen Luftmassen erreichen fast immer von
Westen her die Gebirge, so dass die Niederschläge hier, auf der
"Wetterseite", bis 1800 mm im Jahr erreichen können,
während sie in den Becken und Senken bis auf 500 mm zurückgehen
(Mainzer Becken, Leipziger Bucht). Noch charakteristischer als die
regionale Verteilung der Klimatypen ist der häufige Wechsel
zwischen feuchtkühlem (im Winter feuchtmildem) Wetter mit
atlantischen Tiefdruckausläufern und trockenwarmen (im Winter
trockenkalten) Hochdruckwetterlagen. Der für die Vegetation und
die Landwirtschaft wichtige Zeitraum zwischen dem letzten Frost im
Frühling und dem ersten im Herbst beträgt im Durchschnitt in
Berlin 205, in Wiesbaden 212 und auf Helgoland 250 Tage.
Pflanzenwelt
Entsprechend den klimatischen Bedingungen gilt
in Deutschland der Laubwald (besonders Eichen und Buchen) als die
natürliche Vegetation. Dazu treten in den Mittelgebirgen
Nadelwälder und im Nordwesten Charakterpflanzen des ozeanischen
Klimas (Ginster, Fingerhut, Glockenheide). Seit dem 19.
Jahrhundert wurden viele Waldflächen in reine Kiefern- oder
Fichtenwälder umgewandelt. Vor allem die Eiche wird durch die
Emission von Industrieabgasen zunehmend gefährdet. Auch die
Vegetation der Moore in Nordwestdeutschland wird unter dem
Einfluss des Menschen weit gehend verändert. Die Heiden sind z.
T. auf menschliche Einwirkungen zurückzuführen.
Bevölkerung
Das deutsche Volk, etwa 75 Millionen umfassend,
ist aus einer Vielzahl von Stämmen zusammengewachsen, die alle
ihre traditionellen Eigenarten in Brauchtum und Sprache haben (z.
B. Bayern, Schwaben, Hessen, Sachsen, Thüringer). Eine Reihe von
Unterschieden sind allerdings durch Bevölkerungsvermischung nach
1945 und große Mobilität der modernen Industriegesellschaft
nivelliert worden.
Ethnische Minderheiten bilden die über 60 000
Sorben (Wenden), ein slawisches Volk, das in der Lausitz und im
Spreewald ansässig ist, die über 50 000 Dänen im Norden
Schleswig-Holsteins sowie die rund 50 000 Zigeuner (Sinti und
Roma) sowie die 12 000 Friesen in Nordfriesland und in
Niedersachsen.
Neben den Deutschen leben z. Z. rund 7,3 Mio.
Ausländer in Deutschland, hauptsächlich Türken (über 2 Mio.),
Jugoslawen (737 000), Italiener (616 000), Griechen (364 000) und
Polen (292 000) sowie kleinere Gruppen (150 000-250 000) von
Österreichern, Bosniern und Kroaten. 1999 betrug die Zahl der
Asylsuchenden (vor allem aus der Türkei, Jugoslawien,
Bosnien-Herzegowina und Irak) 95 100 Personen und war damit erneut
im Vergleich zum Vorjahr (98 600 Personen) rückläufig.
Die Bevölkerungsentwicklung ist eng mit der
historischen Entwicklung des Deutschen Reiches verknüpft. Der
deutsche Nationalstaat wuchs 1871-1915 von 41 Mio. auf 67,9 Mio.
Einwohner. Durch die Folgeerscheinungen des 1. Weltkriegs ging die
Bevölkerungszahl zurück, erreichte aber 1937 wieder 68 Mio. Für
die folgenden Jahre gibt es wegen der zahlreichen
Zwangsumsiedlungen, der weit gehenden Vernichtung des jüdischen
Bevölkerungsteils und der Kriegsverluste keine genauen Angaben
der Bevölkerungsbewegung.
Nach der Teilung Deutschlands ergaben sich für
beide deutsche Staaten recht unterschiedliche Entwicklungen:
1946-1990 wuchs die Bevölkerung im alten Bundesgebiet
(einschließlich Berlin [West]) von 46,2 auf 62,7 Mio. Einwohner.
Die Ursache für die starke Bevölkerungszunahme unmittelbar nach
dem 2. Weltkrieg liegt in dem großen Zustrom von
Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen
Ostgebieten und der sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Seit
Ende des 2. Weltkriegs fanden über 14 Mio. Vertriebene,
Flüchtlinge und Umsiedler aus diesen Gebieten Aufnahme im
Bundesgebiet, davon allein über 3,5 Mio. aus der DDR, die vor
allem in den 1950er Jahren zuwanderten. Nach dem Bau der Berliner
Mauer (1961) setzte der Zustrom aus der DDR fast völlig aus, da
nur noch Wenigen die Flucht über die Grenze gelang. 1961-1988
beruhte der Bevölkerungszuwachs überwiegend auf der Zuwanderung
von ausländischen Arbeitnehmern aus den Mittelmeerländern. Im
Jahre 1989 übersiedelten rund 720 000 Deutsche aus der DDR und
den damaligen Ostblockstaaten in das Bundesgebiet. 1999 kamen die
meisten deutschstämmigen Aussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen
Sowjetunion.
Auf dem Gebiet der DDR hatte die
Bevölkerungszahl durch die Wanderung von Vertriebenen und den
Flüchtlingsstrom von Ost nach West bis 1964 ständig abgenommen.
Vor allem flüchteten Jugendliche und Menschen im erwerbsfähigen
Alter. Damit war nicht nur ein großer Arbeitskräfteverlust
verbunden, sondern es fehlte auch die Grundlage für ein
langfristiges natürliches Bevölkerungswachstum, so dass sich
seit 1969 in der DDR ein Sterbeüberschuss einstellte. Erst seit
1979 ergab sich wieder ein leichter Geburtenüberschuss.
Die Bevölkerungsentwicklung kommt auch deutlich
in der Altersstruktur zum Ausdruck, vor allem zeigen sich die
Auswirkungen des Geburtenrückgangs. Der Anteil der Personen unter
15 Jahren nimmt immer mehr ab und liegt bei knapp 16% der
Gesamtbevölkerung. Demgegenüber steigt der Anteil der über
65-Jährigen ständig und beträgt bereits mehr als ein Siebtel
der Gesamtbevölkerung. Die mittlere Lebenserwartung liegt für
Frauen bei 80 Jahren und für Männer bei 74 Jahren. Der durch die
beiden Weltkriege bedingte Frauenüberschuss wird allmählich
durch die nachwachsenden Jahrgänge ausgeglichen.
Bevölkerungsverteilung: Am dichtesten besiedelt
ist, abgesehen von den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg,
Nordrhein-Westfalen mit über 500 Einwohnern je km2, während
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt,
Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein und Thüringen weit
unter dem Durchschnittswert für Deutschland (230 Einwohner je
km2) bleiben. Besonders im Rhein-Ruhr-Gebiet, in der
Rhein-Main-Region um Frankfurt am Main, im Rhein-Neckar-Raum um
Mannheim-Ludwigshafen, im Saarland sowie um die Städte Hamburg,
Bremen, Hannover, Stuttgart, Nürnberg und München haben sich
starke Bevölkerungskonzentrationen entwickelt. Im Osten des
Landes zieht sich von Magdeburg über Halle und Leipzig nach
Dresden mit Ausläufern nach Zwickau und Chemnitz ein Band dichter
Besiedlung hin. Inmitten einer dünn besiedelten, stark ländlich
geprägten Umgebung liegt die Hauptstadt Berlin als eine große,
dicht bevölkerte und stark industrialisierte Insel. Berlin ist
mit 3,4 Mio. Einwohnern das zweitgrößte Ballungszentrum
Deutschlands, übertroffen nur noch vom Ruhrgebiet. Diesen
überaus dicht bevölkerten Gebieten stehen einige nur schwach
besiedelte gegenüber, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen
Rückständigkeit einen ständigen Bevölkerungsschwund aufweisen,
z. B. Gebiete der Eifel, des Bayerischen Waldes, der Oberpfalz,
Niedersachsens und Südostwestfalens sowie weite Teile der neuen
Bundesländer.
Rund 31 Mio. Menschen wohnten 1999 in den 82
Großstädten mit über 100 000 Einwohnern. Gleichzeitig lebten 35
Mio. Menschen, d. h. rund 43% der Gesamtbevölkerung, in Gemeinden
mit weniger als 20 000 Einwohnern. Das Bild der ländlichen
Siedlungen in Deutschland hat sich seit 1945 stark verändert, im
alten Bundesgebiet durch Flurbereinigungen und Aussiedlungen von
Agrarbetrieben auf die Flur, in der DDR durch die Kollektivierung
der Landwirtschaft.
Die Entwicklung der Städte begann im Westen und
Südwesten Deutschlands und geht auf die Römerzeit zurück
(Köln, Bonn, Trier, Augsburg u. a.). Die Städte des Mittelalters
haben sich oft in der Nähe von Bischofssitzen (Würzburg,
Hildesheim, Magdeburg u. a.) oder Kaiserpfalzen (Aachen, Goslar,
Quedlinburg) entwickelt. Seit dem 11. Jahrhundert entstanden echte
Gründungsstädte mit regelmäßigem Grundriss (besonders durch
das Adelsgeschlecht der Zähringer, in Süddeutschland z. B.
Freiburg im Breisgau). Auch die Städte der deutschen Ostsiedlung
sind planmäßig angelegt. Im Barockzeitalter wurden prächtige
Residenzstädte (Dresden, Karlsruhe, Mannheim u. a.) erbaut.
Kriegszerstörung und Wiederaufbau haben das Bild der historisch
gewachsenen Städte stark verändert. Dazu kommt die Entstehung
neuer Stadtviertel und Teilstädte am Rande von Ballungsräumen.
Religion
Nach Artikel 4 des Grundgesetzes sind die
Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des
religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Die
ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Rund 70% der
Bevölkerung gehören christlichen Kirchen an, etwa 34,1% der
evangelischen, 33,4% der katholischen Konfession; 30% gehören
anderen Konfessionen an oder sind bekenntnislos. Der evangelische
Volksteil überwiegt im Norden und Osten, der katholische im
Süden Deutschlands. Rheinland-Pfalz, Saarland und Bayern sind
mehrheitlich katholisch, in Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen sind beide Konfessionen etwa gleich stark, in
den übrigen Bundesländern überwiegen die Protestanten. - Die
jüdische Gemeinde zählt etwa 47 000 Mitglieder.
Seit der Zuwanderung zahlreicher ausländischer
Arbeiter leben heute 3 Mio. Moslems, zumeist Türken, und 200 000
Buddhisten in Deutschland. Der Griechisch-Orthodoxen Metropolie
von Deutschland gehören etwa 350 000 Gläubige an.
In der DDR garantierte die Verfassung zwar die
Gewissens- und Glaubensfreiheit sowie das Recht der Bürger, sich
zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen
auszuüben, die Partei- und Staatsführung versuchte aber, die
Kirchen in die Isolierung abzudrängen. Es wurden traditionelle
Kirchenfeiertage, wie Ostermontag, Himmelfahrt, Buß- und Bettag
abgeschafft; dagegen wurden sozialistische Staatsriten, wie
Kinder-, Jugend- und Eheweihe, stark propagiert. Etwa 34% der
Bevölkerung gehörten den evangelischen Landes- und Freikirchen
an, rund 6% der katholischen Kirche, 60% waren konfessionslos. In
der DDR lebten etwa 450 Juden.
Unter dem Druck des SED-Regimes hatten sich 1969
die 8 evangelischen Landeskirchen formell von der EKD getrennt und
zum Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zusammengeschlossen.
1991 wurde die Vereinigung vollzogen, abgeschlossen mit der
Konstituierung der neuen EKD-Synode und mit der Wahl eines neuen
Rates.
Durch die Auflösung der Berliner
Bischofskonferenz auf DDR-Gebiet und die Aufnahme in die Deutsche
Bischofskonferenz fand im November 1990 die Wiedervereinigung der
formalrechtlich nie getrennten katholischen Kirche in Deutschland
statt. Der Vatikan hatte niemals die deutsche Teilung anerkannt.
Die westdeutschen Bistümer Osnabrück, Hildesheim, Fulda,
Würzburg sowie das Erzbistum Paderborn blieben formalrechtlich
weiter zuständig für ihre auf ostdeutschem Gebiet gelegenen
Diözesanterritorien, die von direkt dem Vatikan unterstellten
Apostolischen Administratoren verwaltet wurden; das Bistum Berlin
(das den Ost- und Westteil umfasste) und Görlitz waren direkt dem
Hl. Stuhl unterstellt. Allein die Diözese Dresden-Meißen lag
ganz auf DDR-Gebiet.
Nachdem der Papst und die römische Kurie die
von der Deutschen Bischofskonferenz aufgestellten
"Empfehlungen zur ostdeutschen kirchlichen
Gebietsreform" übernommen hatten, wurden 1994 entsprechende
Staatsverträge zwischen dem Vatikan und den betreffenden
Bundesländern unterzeichnet. Seit der Neuordnung gibt es in
Deutschland 7 Erzbistümer und 20 Bistümer: Kirchenprovinz
Bamberg mit Eichstätt, Speyer, Würzburg; München-Freising mit
Augsburg, Regensburg, Passau; Freiburg mit Mainz,
Rottenburg-Stuttgart; Paderborn mit Fulda, Erfurt, Magdeburg;
Köln mit Aachen, Essen, Münster, Trier, Limburg; Hamburg mit
Osnabrück, Hildesheim; Berlin mit Dresden-Meißen, Görlitz.
Wirtschaft
Die Teilung Deutschlands nach 1945 hat dazu
geführt, dass in den beiden deutschen Staaten völlig
verschiedene Wirtschaftssysteme entstanden. In der Bundesrepublik
stand die Wirtschaftsentwicklung im Zeichen der sozialen
Marktwirtschaft, verbunden mit einer zunehmenden Integration mit
anderen westlichen Staaten, besonders im Rahmen der Europäischen
Gemeinschaft. Demgegenüber wurde die Wirtschaft der DDR auf eine
staatlich gelenkte Zentralverwaltungswirtschaft (Planwirtschaft)
umgestellt und in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW,
COMECON) eingebunden. Zudem hatte die wirtschaftliche Entwicklung
in der DDR anfangs unter besonderen Schwierigkeiten zu leiden, vor
allem weil eine Grundstoffindustrie fast völlig fehlte und weil
bis 1953 umfangreiche Reparationsleistungen zu erfüllen waren.
Dennoch erreichte die DDR im Laufe der Zeit einen sehr hohen
Industrialisierungsgrad. Unter den Ostblockstaaten wies sie 1988
das höchste Pro-Kopf-Einkommen auf.
Im Zuge der Wiedervereinigung erfolgte eine
rasche Umstellung des Wirtschaftssystems in Richtung
Marktwirtschaft. Die Angleichung der Wirtschaftskraft der
ehemaligen DDR an die der bisherigen Bundesrepublik war mit
erheblichen Problemen verbunden. Wegen veralteter Technologien und
wenig effektiver betrieblicher Organisationsformen konnten die
meisten Betriebe bzw. Kombinate nicht mit westlichen Firmen
konkurrieren. Zudem war ein Großteil der traditionellen
Absatzmärkte in Osteuropa entfallen. Die Umstellungskrise
äußerte sich nicht zuletzt in einem drastischen Ansteigen der
Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern.
Landwirtschaft
Deutschland verfügt über eine leistungsfähige
Landwirtschaft, die etwa drei Viertel des Inlandsbedarfs an
Agrarprodukten deckt. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat die
Landwirtschaft sich tief greifend gewandelt.
In der Bundesrepublik war diese Entwicklung vor
allem gekennzeichnet durch die Abwanderung von Arbeitskräften aus
der Landwirtschaft in die Industrie und in
Dienstleistungsbetriebe.
Dadurch sank der Anteil der in der
Landwirtschaft Tätigen an der Gesamtzahl der Erwerbspersonen seit
1950 von 20% auf 3%. Mehr als drei Viertel aller
landwirtschaftlichen Betriebe gehören einer Genossenschaft an.
Moderne Wirtschaftsmethoden und der Ersatz menschlicher und
tierischer Arbeitskraft durch Maschinen führten zu großen
Produktionserfolgen und Ertragsverbesserungen.
In der DDR wurden die Besitzverhältnisse durch
Schaffung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und
Volkseigenen Gütern grundlegend verändert. Fast 11% der
Erwerbstätigen waren hier 1989 in der Landwirtschaft
beschäftigt. Um die stark subventionierte Landwirtschaft der
ehemaligen DDR in den europäischen Agrarmarkt zu integrieren,
waren drastische Rationalisierungsmaßnahmen und ein spürbarer
Abbau von Arbeitskräften erforderlich.
Hauptanbauprodukte in Deutschland sind Brot- und
Futtergetreide, Kartoffeln, Zuckerrüben, Gemüse, Obst und Wein.
Den äußerst fruchtbaren Lößgebieten (z. B. Magdeburger Börde)
mit vorherrschendem Weizen- und Zuckerrübenanbau stehen
Landstriche mit eher kargen Böden (z. B. der Nordwesten
Deutschlands und die höheren Mittelgebirgslagen) gegenüber, wo
die Viehwirtschaft überwiegt. Schwerpunkte der Viehzucht sind die
Länder Niedersachsen, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein.
Fast ein Drittel der Landfläche Deutschlands
ist mit Wald bedeckt. Die waldreichsten Länder sind Bayern,
Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg.
Der wichtigste Bereich der Fischerei ist die
sog. große Hochseefischerei. Die Fangflotte besteht in erster
Linie aus Fabrikschiffen, die den Fang zu Tiefkühlfisch
verarbeiten, und zum geringeren Teil aus Frischfischfängern. Die
wichtigsten Häfen für die Fischanlandung sind Bremerhaven,
Cuxhaven und Rostock. Mehr als ein Drittel des Gesamtergebnisses
der Fischerei entfällt auf die kleine Hochsee- und
Küstenfischerei. In der Binnenfischerei nahm in den letzten
Jahrzehnten die Zahl der Teichwirtschafts- und Fischzuchtbetriebe
zu, während die Zahl der Fluss- und Seenfischereibetriebe
aufgrund der Verschmutzung der Flüsse und Seen abgenommen hat.
Industrie
Industrie und Handwerk tragen zusammen gut ein
Drittel zur wirtschaftlichen Gesamtleistung bei. Der Rest wird vor
allem vom Dienstleistungsbereich einschließlich Handel und
Verkehr erwirtschaftet. Die Landwirtschaft spielt nur eine
untergeordnete Rolle.
Bis zum Ende der 1950er Jahre dominierte in der
Bundesrepublik die seit jeher in Deutschland stark vertretene
Eisen schaffende Industrie in Verbindung mit dem
Steinkohlenbergbau. Dann erlangten Erdöl und Erdgas als
Energieträger eine immer größere Bedeutung und drängten die
Steinkohle zurück. Von diesen Strukturveränderungen waren vor
allem das Ruhrgebiet und das Saarland betroffen. Der wichtigste
Industriezweig der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie ist
heute die chemische Industrie. Von besonderer Bedeutung sind in
Deutschland die Investitionsgüterindustrien, zu denen vor allem
Maschinenbau, Straßen- und Luftfahrzeugbau, Schiffbau, die
elektrotechnische Industrie sowie die Herstellung von
Büromaschinen und Computertechnik gehören. Nach Japan und den
USA ist Deutschland der drittgrößte Automobilproduzent der Welt.
Die Elektrotechnik gehört zu den Industriebereichen mit einem
überdurchschnittlichen Wachstum. Sie verfügt über eine Fülle
neuer Technologien, so dass ihr für die gesamte wirtschaftliche
Entwicklung eine Schlüsselfunktion zukommt. Von Bedeutung sind
ferner die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Nahrungs-
und Genussmittelindustrie.
In der DDR spielten die reichen Braunkohlenlager
eine wichtige Rolle für die Industrie. In zunehmendem Maße wurde
jedoch sowjetisches Erdöl als Energieträger und chemischer
Grundstoff verwendet. Dadurch erfuhr die chemische Industrie einen
besonders starken Aufschwung (Herstellung von Chemiefasern,
Kunstdünger, Kraftstoff u. a.). Mangels umweltverträglicher
Technologien hat sie zu einer besonders starken Belastung der
Umwelt beigetragen. Bis zur Wiedervereinigung waren auch die
elektrotechnische, elektronische und optische Industrie
(Elektrogeräte aller Art, Büromaschinen, Fotoapparate), der
Maschinen- und Fahrzeugbau sowie die Textilindustrie wichtige
Industriezweige.
Durch die Umstellung auf die Marktwirtschaft und
die Einbindung in den westlichen Markt erfuhr die Industrie eine
völlige Umstrukturierung. Ihre Sanierung und Privatisierung war
Aufgabe der Treuhandanstalt in Berlin (Ende 1994 aufgelöst).
Gleichzeitig wurde die Neuansiedlung von Industriekomplexen
gefördert. Ein weiterer Rückgang der Beschäftigtenzahl in der
Industrie konnte aber nicht verhindert werden. Die Industrie
konzentriert sich im Gebiet der ehemaligen DDR vor allem auf die
Ballungsräume Chemnitz, Halle, Dresden und Leipzig.
Bodenschätze und Energie
Deutschland ist ein ausgesprochen rohstoffarmes
Land. Bei der Versorgung mit Rohstoffen und Energiequellen ist es
weit gehend auf Einfuhren angewiesen. Bei Bauxit, Mangan, Titan,
Rohphosphat und Wolfram ist die Auslandsabhängigkeit besonders
groß. In geringen Mengen verfügt Deutschland über Eisen-,
Kupfer- und Zinnerz sowie über Erdöl und Erdgas. Nur die
Braunkohlen-, Steinkohlen- und Salzlagerstätten sind noch für
viele Jahrzehnte abbauwürdig. Die wichtigsten
Braunkohlenvorkommen befinden sich im Raum Halle/Leipzig, in der
Niederlausitz, im Harzvorland (bei Helmstedt) und in der
Niederrheinischen Bucht. Die wichtigsten Steinkohlenreviere sind
das rheinisch-westfälische Steinkohlengebiet und das
Saarkohlebecken. In Niedersachsen, Schleswig-Holstein, in der
Oberrheinischen Tiefebene und in geringem Umfang im Alpenvorland
wird Erdöl gefördert. Die Menge deckt den Erdölbedarf
Deutschlands jedoch nur zu etwa 5%. Hauptlieferländer sind
Großbritannien, Libyen, Russland, Norwegen, Saudi-Arabien, Syrien
und Algerien. Die Erdgasvorräte betragen nach der Entdeckung
neuer Felder im Emsland, in der Nordsee und bei Salzwedel etwa 380
Mrd. m3. Der steigende Erdgasverbrauch kann zu rund einem Fünftel
aus heimischen Quellen, im Übrigen vor allem durch Einfuhr aus
Russland, Norwegen und den Niederlanden gedeckt werden.
Der Primärenergieverbrauch beläuft sich in
Deutschland auf 484,5 Mio. t Steinkohleeinheiten. Davon entfallen
39,4% auf Mineralöl, 21,3% auf Erdgas, 13,4% auf Steinkohle,
13,1% auf Kernenergie, 10,3% auf Braunkohle und 2,5% auf sonstige
Quellen. Gegenwärtig arbeiten 19 Kernreaktoren.
Außenwirtschaft
Die Außenwirtschaft spielt eine entscheidende
Rolle im Wirtschaftsleben Deutschlands, das mit fast 10% am
Welthandel beteiligt ist. Deutschland liegt damit an zweiter
Stelle nach den USA. Der Außenhandel Deutschlands erzielt seit
1981 z. T. beträchtliche Exportüberschüsse.
Die für den Export wichtigsten
Industrieprodukte sind Maschinen aller Art, Kraftfahrzeuge,
elektrotechnische und chemische Erzeugnisse, Eisen, Stahl und
Nahrungsmittel. Auf der Einfuhrseite haben Fahrzeuge,
elektrotechnische und chemische Erzeugnisse, Maschinen, Textilien,
Nahrungs- und Genussmittel die größte Bedeutung. Die wichtigsten
Handelspartner sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union,
vor allem Frankreich und Großbritannien, sowie die USA.
Der Außenhandel der DDR war vorwiegend auf die
Ostblockstaaten ausgerichtet, auf die etwa 66% des
Außenhandelsumsatzes entfielen (Sowjetunion allein 37%). Eine
wichtige Rolle spielte für sie auch der innerdeutsche Handel mit
der Bundesrepublik, der nach ihrem Staatsverständnis als
Außenhandel galt.
Verkehr
Ein leistungsfähiges Verkehrswesen ist in
Deutschland wichtiger Bestandteil der Volkswirtschaft und
notwendige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung. Die
ständig wachsende Verwendung von Containern aller Art im
Güterverkehr führt auch in Deutschland zu einer Verzahnung der
verschiedenen Transportmittel. Nach der Wiedervereinigung und mit
der Integration der osteuropäischen Länder in den
westeuropäischen Markt haben die West-Ost-Verbindungen erheblich
an Bedeutung gewonnen. Ihr Ausbau ist für die wirtschaftliche
Entwicklung im Osten des Landes außerordentlich wichtig.
Der Straßenverkehr nimmt heute sowohl im
Personen- als auch im Güterverkehr die erste Stelle ein. Die Zahl
der zugelassenen Kraftfahrzeuge stieg in der Bundesrepublik von
1,9 Mio. (1950) auf 50,7 Mio. (2000), davon sind 42,7 Mio.
Personenkraftwagen.
Die Länge des Straßennetzes für den
überörtlichen Verkehr insgesamt umfasste 1999 230 700 km. Das
Autobahnnetz war 1999 11 427 km lang. Deutschland hat das
dichteste und nach den USA das längste Autobahnnetz der Welt.
Die Streckenlänge der Eisenbahn beträgt rund
41 800 km. Die Bahn ist vor allem für die Beförderung von
Massen- und Stückgütern von erheblicher Bedeutung. Für den
Personenverkehr wird das Schnellstreckennetz zunehmend ausgebaut.
1991 wurden die ersten Schnellfahrstrecken (Hannover-Würzburg;
Mannheim-Stuttgart) in Betrieb genommen. Sie werden u. a. von dem
Hochgeschwindigkeitszug ICE befahren. Die Entlastung des
Straßenverkehrsnetzes ist eine wichtige Funktion der Bahn, zumal
sie zu den umweltverträglichsten Verkehrsmitteln überhaupt
gehört.
Die Binnenschifffahrt stützt sich auf die
Stromsysteme von Rhein (mit Neckar, Main und Mosel), Weser, Elbe,
Oder, Havel, Saale und auf ein weit verzweigtes Kanalnetz
(Rhein-Herne-Kanal, Dortmund-Ems-Kanal, Mittellandkanal,
Elbe-Seiten-Kanal, Oder-Spree-Kanal, Elbe-Havel-Kanal u. a.). Der
wirtschaftliche Vorteil der Binnenschifffahrt gegenüber der
Eisenbahn liegt in den in der Regel kostengünstigeren Transporten
von Massengütern. Der größte Binnenhafen Deutschlands und
zugleich der größte Europas ist Duisburg. Andere wichtige
Binnenhäfen sind Hamburg, Köln, Mannheim, Ludwigshafen,
Frankfurt am Main, Dortmund, Wesseling, Gelsenkirchen, Karlsruhe,
Berlin und Magdeburg. Aufgrund seiner geographischen Lage mit
Zugang zur Nord- und Ostsee und seiner Wirtschaftskraft hat
Deutschland eine starke Stellung in der Seeschifffahrt. Es
verfügt über eine Handelsflotte mit rund 7,9 Mio. BRT. Die
wichtigsten Seehäfen sind Hamburg, Bremen mit Bremerhaven,
Wilhelmshaven, Emden, Brunsbüttel und Brake an der Nordsee sowie
Lübeck, Rostock, Puttgarden und Sassnitz an der Ostsee. Der
Luftverkehr, der nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland zunächst
nur von ausländischen Gesellschaften betrieben werden durfte, hat
seit 1955 eine rasche Aufwärtsentwicklung genommen. Zu den
wichtigsten Flughäfen gehören Frankfurt am Main, Düsseldorf,
München, Hamburg, Stuttgart, Hannover, Leipzig, Köln-Bonn und
Berlin (Tegel und Schönefeld).
Geld- und Währungswesen
Das Geld- und Währungswesen in Deutschland
wurde vor allem durch die Bankgesetze vom 14. 3. 1875 (durch das
die Deutsche Reichsbank gegründet und die Mark-Währung
geschaffen wurde) und vom 30. 8. 1924 (durch das die
Reichsmark-Währung geschaffen wurde) sowie durch das
Reichsbank-Gesetz vom 15. 6. 1939 (das die Reichsbank unmittelbar
der Weisungsbefugnis des Reichskanzlers unterstellte) geregelt.
Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs hatte
Deutschland eine Goldkern-Währung, bei der die umlaufenden
Banknoten in Gold und Handelswechseln gedeckt waren, ab 1924 eine
Golddevisen-Währung, bei der als Notendeckung auch in Gold
einlösbare Auslandswährung zugelassen war. Ab 1933 erhielt die
Reichsbank die Befugnis, auf dem Wege der Offenmarktpolitik auch
Schatzwechsel zu kaufen, wodurch de facto die Golddeckung der
Reichsmark abgeschafft wurde.
Die Indienstnahme der Geldschöpfung durch den
Staat (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Rüstung) führte zur
Inflation, die ab 1936 durch einen rigoros gehandhabten Preisstopp
und - ab Kriegsbeginn 1939 - durch Güterrationierung verdeckt
wurde. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Zusammenbruch der
staatlichen Kontrollmöglichkeiten bildeten sich schwarze Märkte,
auf denen die Reichsmark weit gehend durch Ersatzzahlungsmittel
verdrängt wurde. Die Reichsmark wurde durch die Währungsreform
1948 für ungültig erklärt.
In der DDR übte bis 1990 die Staatsbank der DDR
(1948-1968 Deutsche Notenbank) die Funktion einer Zentralnotenbank
aus. Währungseinheit der DDR war 1948-1964 die Deutsche Mark,
1964-1967 die Mark der Deutschen Notenbank, 1968-1990 die Mark der
DDR. Durch die weit gehende Enteignung der Produktionsfaktoren
Kapital und Boden lief der Großteil aller wirtschaftlichen
Investitionen über den Finanzhaushalt. Die wichtigsten
Einnahmequellen des Haushalts der DDR waren neben den
Verbrauchsabgaben die bei der volkseigenen Wirtschaft erhobene
Produktions- und Dienstleistungsabgabe sowie die Handelsabgabe.
Auch der Haushalt der Sozialversicherung war in der DDR, im
Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, Bestandteil des
Staatshaushalts.
Die Währungs- und Notenbank der Bundesrepublik
Deutschland (die seit 1990 ganz Deutschland umfasst) ist die
Deutsche Bundesbank. Das Gesetz über die Deutsche Bundesbank von
1957 (1992 neu gefasst) und das Kreditwesengesetz von 1961 (1998
neu gefasst), ferner der Vertrag über die Währungs-,
Wirtschafts- und Sozialunion von 1990 ordnen das deutsche Geld-
und Kreditsystem. Die Deutsche Bundesbank ist im Rahmen ihrer
Befugnisse autonom und von Weisungen der Regierung unabhängig.
Währungseinheit ist die Deutsche Mark (DM), mit endgültiger
Einführung ab 2002 der Euro.
In Deutschland ist die Finanzmacht zwischen Bund
und Ländern aufgeteilt; die Finanzgesetzgebung liegt überwiegend
in der Hand des Bundes, während die Finanzverwaltung zwischen
Bund und Ländern aufgeteilt ist; die Haupteinnahmen sind die
Abgaben, besonders die Steuern. Die wichtigste Einnahmequelle des
Bundes ist die Umsatzsteuer, die der Länder die Einkommen- und
die Körperschaftsteuer, während die Grund- und die Gewerbesteuer
für die Gemeinden von besonderer Bedeutung sind. Die wichtigsten
Finanzausgaben sind Soziallasten, Verteidigungsausgaben,
Subventionen, Schuldentilgung und -verzinsung.
Geschichte
Der Landesname Deutschland ist entstanden durch
allmähliche Bedeutungserweiterung des Wortes deutsch, das - seit
dem 8. Jahrhundert belegt - ursprünglich nur die in einem Teil
des Frankenreichs gesprochene germanische Sprache bezeichnete.
Seit dem 11. Jahrhundert wurde es auf deren Sprecher
("deutsche Leute") und ihre Wohngebiete ("deutsche
Lande") übertragen. Die Singularform Deutschland ist erst
seit dem 15. Jahrhundert geläufig.
Das Frankenreich, das unter Karl dem Großen
seine größte Machtentfaltung erreichte, brach nach dessen Tod
(814) bald auseinander. Im Laufe mehrerer Erbteilungen entstanden
ein West- und ein Ostreich, wobei die politische Grenze annähernd
mit der Sprachgrenze zwischen Germanisch und Romanisch
zusammenfiel. Mit diesem Zerfall des Frankenreichs, und zwar in
seinem östlichen Teil, beginnt die eigentliche deutsche
Geschichte.
Früh- und Hochmittelalter
Der Übergang vom ostfränkischen zum deutschen
Reich manifestierte sich bei der Königswahl Konrads I. (911-918).
Unter dem Zwang der Abwehr von Slawen, Normannen, Dänen und
Ungarn hatten sich weit gehend selbständige Stammesherzogtümer
entwickelt (in Bayern, Sachsen, Franken, Schwaben und Lothringen),
gegen die sein Königtum sich nicht durchzusetzen vermochte. Mehr
Erfolg hatte Heinrich I. (919-936). Er setzte seine Oberhoheit
durch, gewann 925 Lothringen zurück, siegte über die Ungarn
(933) und sicherte das Reich durch Marken und Burganlagen. Sein
Sohn Otto I. (936-973) ließ sich nach der Unterwerfung der Slawen
bis zur Oder (955), der Unterwerfung Böhmens (950) und später
(963) auch Polens, der Übernahme der langobardischen
Königswürde Italiens (951) und der endgültigen Beseitigung der
Ungarngefahr (955) zum Kaiser (962) krönen. Das neue Kaiserreich
entstand im Zeichen einer Oberhoheit über das Papsttum und
begründete eine 300-jährige deutsche Herrschaft in Ober- und
Mittelitalien. Unter Otto II. (973-983) ging durch einen großen
Slawenaufstand die Herrschaft über alle ostelbischen Gebiete
wieder verloren. Otto III. (983-1002) strebte in Weiterführung
väterlicher Pläne, aber ebenfalls vergeblich, eine
christlich-römische Universalmonarchie an. Erst Heinrich II.
(1002-1024), der letzte Sachsenkaiser, und die ersten Salier,
Konrad II. (1024-1039) und Heinrich III. (1039-1056) vermochten,
gestützt auf Reichskirche und Ministerialität, das Reich wieder
zu festigen: Rückgewinnung Böhmens (1004/1041) und der Lausitz
(1031); Lehnshoheit über Polen (1013) und Ungarn (1044); Erwerb
Burgunds (1033). Unter Heinrich III. stand das deutsche König-
und Kaisertum auf dem Höhepunkt der Macht. Er vereinte weltliche
und geistliche Autorität in seiner Person und war den kirchlichen
Reformideen von Cluny und Gorze zugetan. Der Kampf um das
Verhältnis der beiden obersten Gewalten wurde zwischen Heinrich
IV. (1056-1106) und Papst Gregor VII. im Investiturstreit
ausgetragen. Durch Heinrichs Bannung und Unterwerfung unter den
Papst (Bußgang nach Canossa) erfuhr das deutsche Königtum eine
entscheidende Rangeinbuße. Heinrich IV. war der erste deutsche
König, während dessen Regierungszeit ein Gegenkönig erhoben
wurde. Dabei wurde erstmals in der deutschen Geschichte ein
Wahlrecht der Fürsten in Anspruch genommen und praktiziert. Der
Investiturstreit wurde beigelegt durch das Wormser Konkordat
(1122). Der Kompromiss führte zum Zusammenbruch der
Reichskirchenverfassung (die Bischöfe, die bisher Reichsbeamte
gewesen waren, wurden nun geistliche Territorialherren). Nach dem
Aussterben der Salier mit Heinrich V. (1106-1125) setzte sich das
Wahlrecht vollends durch. Unter Lothar III. von Supplinburg
(1125-1137) setzte die Ostsiedlung ein. Mit Konrad III.
(1138-1152) begann für mehr als ein Jahrhundert die Herrschaft
der Staufer und der Kampf mit den Welfen und ihrem mächtigsten
Vertreter, Heinrich dem Löwen. Unter Friedrich I. Barbarossa
(1152-1190) verlor Heinrich 1180 seine Herzogtümer. Bayern kam
damals an die Wittelsbacher (bis 1918). Im Norden und Osten, wo
seit 1163 in Schlesien ebenfalls die deutsche Siedlung begonnen
hatte, ging der deutsche Einfluss zurück. Friedrich sicherte sich
durch Heirat Burgund. Nach langen Kämpfen mit dem Papst kam es zu
einem Ausgleich (Friede von Venedig 1177). Die Hoheit des Reichs
über die lombardischen Städte blieb im Frieden von Konstanz 1183
erhalten. Heinrich IV. (1190-1197), durch Heirat auch König von
Sizilien, errang eine immense Machtfülle (Lehnshoheit über
England, Zypern und Armenien). Sein früher Tod stürzte das Reich
in langjährige Wirren (Doppelwahl: Philipp von Schwaben und Otto
IV.). Innozenz III. unterstützte zunächst Otto IV. (1198-1218).
Als der Welfe jedoch die staufische Italienpolitik wieder aufnahm,
ließ der Papst Friedrich II. zum Gegenkönig wählen, der nach
der Niederlage Ottos bei Bouvines (1214) in Deutschland allgemein
anerkannt wurde. Friedrichs II. (1212-1250) Politik basierte auf
dem nach normannischer Tradition straff organisierten Beamtenstaat
Sizilien. In Deutschland überließ Friedrich wesentliche Regalien
den geistlichen und weltlichen Fürsten (1220 bzw. 1231/32). 1226
gestattete er dem Deutschen Orden die Errichtung einer
Landeshoheit in Preußen. 1227 schlugen die norddeutschen Fürsten
bei Bornhöved den dänischen König Waldemar II. und erzwangen
die Rückgabe der Küstengebiete jenseits von Elbe und Elde.
Imperial gesehen war die Stellung Friedrichs, der bei dem von ihm
geführten 5. Kreuzzug noch die Krone des Königreichs Jerusalem
errang, auch in Deutschland unangefochten, wo er seinen Sohn
Heinrich (VII.) als König eingesetzt hatte. Nur gegen das
Papsttum blieb ein letzter Erfolg aus. Mit seinen schwachen
Nachfahren Konrad IV. (1237/1250-1254), Manfred (1258-1266) und
Konradin († 1268) endete die staufische
Herrschaft.Spätmittelalter und Frühe Neuzeit
Es folgte eine Zeit des Gegen- und
Doppelkönigtums, Interregnum genannt. Bedeutsam wurde das zu
dieser Zeit sich durchsetzende alleinige Königswahlrecht der
Kurfürsten. Die Wahl Rudolfs von Habsburg (1273-1291) beendete
das Interregnum. Seine Hausmachtspolitik brachte ihm Österreich,
Steiermark, Kärnten und Krain ein. Der Luxemburger Heinrich VII.
(1308-1313) begründete durch Einziehung Böhmens die
luxemburgische Hausmacht. Der Wittelsbacher Ludwig der Bayer
(1314-1347) gewann die Mark Brandenburg und ließ sich zum Kaiser
krönen. Das Königswahlrecht wurde endgültig durch die Goldene
Bulle Karls IV. von 1356 gegen die Kurie zugunsten der Kurfürsten
entschieden. Auch die Städte hatten dank ihrer wirtschaftlichen
Macht an Einfluss gewonnen. Die Hanse errang 1370 im Stralsunder
Frieden die Vormachtstellung im Ostseeraum. Unter Karl IV.
(1346-1378) wurde Böhmen zum Kernland des Reichs. Sigismund
(1410-1437) übertrug die Mark Brandenburg Friedrich VI. (I.) von
Hohenzollern. Sachsen (-Wittenberg) ging an den Wettiner Friedrich
den Streitbaren. Sigismund, 1433 zum Kaiser gekrönt, berief die
Reformkonzilien von Konstanz und Basel ein, die das Schisma
beseitigten. Die Hussitenkriege schwächten die Königsmacht.
Durch Albrecht II. (1438-1439) wurden die Habsburger die stärkste
Macht im Reich. Friedrich III. (1440-1493), 1452 als letzter
Kaiser vom Papst in Rom gekrönt, konnte die Macht seines Hauses
mehren (Erb- und Heiratsverträge mit Burgund, Böhmen und
Ungarn).
1460 wurden Schleswig und Holstein in
Personalunion mit Dänemark vereinigt (bis 1863). 1466 verlor der
Deutsche Orden Pommerellen, das Kulmerland und das Ermland an
Polen und musste für den restlichen Ordensstaat (Preußen) die
polnische Oberhoheit anerkennen. Maximilian I. (1493-1519), durch
seine Ehe mit Maria von Burgund († 1482) auch im Besitz der
Niederlande und der Freigrafschaft Burgund, schritt zur
überfälligen Reichsreform. Im Innern begann sich das Reich zu
einem dualistischen Ständestaat zu entwickeln, in dem sich das
Reichsoberhaupt und die Reichsstände gegenüberstanden, die eine
monarchische Führung verhinderten. Die Städte entwickelten sich
zu Zentren wirtschaftlicher Macht. Das mittelalterliche Handels-
und Wirtschaftssystem wurde durch den Frühkapitalismus abgelöst.
Mit dem politischen und wirtschaftlichen Wandel ging ein geistiger
einher, gekennzeichnet durch Renaissance und Humanismus.Zeitalter
der Reformation und der Gegenreformation
Alle Unzufriedenheit mit der Kirche und die
Glaubensnot des Volks kam zum Ausbruch in der Reformation. Unter
Karl V. (1519-1556) konnte sie sich stark ausbreiten. Karl, gegen
den französischen Monarchen Franz I. zum deutschen König
gewählt, war durch Erbschaft (der Niederlande und Burgunds,
Spaniens mit Neapel und den überseeischen Besitzungen, eines
Teils der habsburgischen Lande) und nach dem Anspruch noch einmal
ein universaler Kaiser. 1521/22 überließ er die habsburgischen
Erblande seinem Bruder Ferdinand, der Böhmen und Ungarn erbte.
Religiöse Schriften Luthers wirkten befeuernd auf den Ritterkrieg
Franz von Sickingens 1522/23 wie auf den Bauernkrieg von 1525.
Beide wurden von den Fürsten niedergeschlagen. Sie wurden auch
die Hauptnutznießer der Reformation (Landeskirchentum). 1525
wurde der Ordensstaat Preußen weltliches Herzogtum. Die
lutherischen Reichsstände, fast alle im Schmalkaldischen Bund
seit 1531 zusammengeschlossen, wurden 1546/47 vom Kaiser
geschlagen, erlangten aber im Augsburger Religionsfrieden 1555 die
Anerkennung der Gleichberechtigung ihrer Konfession. 1555/56
dankte Karl V. resigniert ab, und es kam zu einer Teilung des
habsburgischen Weltreichs. Kaiser wurde mit den habsburgischen
Erblanden Ferdinand I. (1556-1564). Das Reich Ferdinands und
seiner Nachfolger war schwach und politisch unbedeutend; die
Reformation machte weitere Fortschritte. Nur West- und
Süd-Deutschland blieben überwiegend katholisch. Der schroffe
Gegensatz zwischen den Konfessionen wurde durch die
Gegenreformation noch verschärft und führte schließlich zum
Dreißigjährigen Krieg. Brandenburg gewann 1614 nach dem
Jülich-Cleveschen Erbfolgestreit Cleve, Mark und Ravensberg und
1618 Preußen. Der Dreißigjährige Krieg wurde aus einem
deutschen Religionskrieg zu einem europäischen Machtkampf gegen
das Haus Habsburg. Der Westfälische Friede (1648), der die
konfessionelle Spaltung Deutschlands besiegelte, sicherte in
politischer Hinsicht auf Kosten der kaiserlichen Zentralgewalt die
Mitbestimmung der Reichsstände.
Zeitalter des Absolutismus
Das Reich versank in einen Zustand politischer
Ohnmacht, aus dem es auch durch verschiedene Reformversuche
(Rheinbund 1658; Reichskriegsordnung 1661) nicht mehr herausfinden
konnte. Die Einzelstaaten übernahmen den Absolutismus des
französischen Königs und erstarkten auch wirtschaftlich durch
den Merkantilismus (Bayern, Sachsen, Brandenburg und Hannover).
Nach der Rettung Wiens vor den Türken 1683, durch den Erwerb
Ungarns und die erfolgreiche Verteidigung der Westgrenze des
Reichs erstarkte Österreich unter Kaiser Leopold I. (1658-1705)
zur führenden Großmacht Europas. Preußen wurde unter dem
Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640-1688), König
Friedrich I. (1688-1713, König seit 1701), König Friedrich
Wilhelm I. (1713-1740) und besonders unter Friedrich dem Großen
(1740-1786) durch die Erwerbung Schlesiens (Schlesische Kriege
1740-1742 und 1744/45; Österreichischer Erbfolgekrieg 1740-1748,
Siebenjähriger Krieg 1756-1763) zweite deutsche Großmacht. Die
Gebietsgewinne aus den Polnischen Teilungen (1772, 1773 und 1795)
ließen sowohl Österreich wie Preußen aus dem Reich
herauswachsen. Auf dieser Grundlage entwickelte sich der
preußisch-österreichische Dualismus, der 1866 mit der Niederlage
Österreichs endete. Die Regierungen Friedrichs des Großen, Maria
Theresias (1740-1780) und Josephs II. (1765-1790) verwirklichten
einen aufgeklärten Absolutismus, womit sie zum Vorbild
zahlreicher anderer deutscher Staaten wurden.
Vom Heiligen Römischen
Reich Deutscher Nation zum Deutschen Bund
Der Vormarsch der französischen
Revolutionsarmeen nach der Kanonade von Valmy (1792) veranlasste
Preußen 1795 zum Separatfrieden von Basel, mit dem das linke
Rheinufer Frankreich ausgeliefert wurde. Die Durchführung seiner
Bestimmungen durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803
leitete das Ende des Römisch-Deutschen Reichs ein. Die Bildung
des Rheinbunds 1806 und die Niederlegung der Kaiserkrone durch
Franz II. vollendeten diesen Prozess. In Norddeutschland bildete
Napoleon für seinen Bruder Jérôme das Königreich Westfalen.
Die Wendung nach Napoleons Niederlage in Russland 1812 war
vorbereitet worden durch die inneren Reformen des Freiherrn vom
Stein und des Fürsten Hardenberg in Preußen sowie durch die
preußische Heeresreform A. Graf N. von Gneisenaus und G. von
Scharnhorsts. Unter Führung Hardenbergs und Metternichs gelang in
den Befreiungskriegen die Befreiung Deutschlands von der
französischen Vorherrschaft. Die Regelungen des Wiener Kongresses
1815 erfüllten die Hoffnung der Deutschen auf Bildung eines
eigenen Nationalstaats durch die Gründung des Deutschen Bundes
nur unvollkommen. In Preußen, Österreich, den übrigen deutschen
Staaten und im Bund war die Politik der nächsten Jahrzehnte durch
den Gegensatz der konservativen Staatsmacht (System Metternich)
gegen die nationalen und liberalen Tendenzen der Zeit
charakterisiert (Restauration). In Auswirkung der französischen
Julirevolution von 1830 (Junges Deutschland) entstanden
Verfassungen in Sachsen, Hannover und Kurhessen. Die Aufhebung der
Hannoverschen Verfassung 1837 führte zur Vertreibung der
protestierenden Göttinger Sieben. Aus der Märzrevolution (1848)
hervorgegangen, stellte sich die Frankfurter Nationalversammlung
(Paulskirche) die Aufgabe, das Reich in einer
bürgerlich-liberalen, bundesstaatlichen Verfassung zu erneuern.
Der Versuch scheiterte. Es kam zum Bruch zwischen der
großdeutschen und der kleindeutschen Richtung. Die auch sonst
zersplitterten liberalen Kräfte konnten sich gegen die
herrschenden konservativen Mächte nicht durchsetzen. Der Deutsche
Bund wurde wiederhergestellt. Bismarck machte sich die Lösung des
preußisch-österreichischen Dualismus zur Aufgabe. Nach dem
Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 kam es 1866 zum Deutschen Krieg.
Österreichs Niederlage bei Königgrätz hatte im Frieden von Prag
die Auflösung des Deutschen Bunds und das Ausscheiden
Österreichs aus dem deutschen Staatenverband zur Folge.
Norddeutscher Bund und
Deutsches Reich
Preußen gründete den Norddeutschen Bund, in
dem, mit dem preußischen Ministerpräsidenten Bismarck als
Bundeskanzler, zum ersten Mal ein Teil Deutschlands auf
bundesstaatlich-konstitutioneller Basis vereinigt war. Die
Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für
den spanischen Thron führte zum Deutsch-Französischen Krieg von
1870/71. Nach dem Sieg über Frankreich und dem Beitritt der
süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund wurde am 18. 1. 1871
in Versailles der preußische König Wilhelm I. (1861-1888) zum
"Deutschen Kaiser" ausgerufen und damit das Deutsche
Reich gegründet. Der Friede von Frankfurt von 1871 erzwang von
Frankreich die Abtretung von Elsass und Lothringen. Das neue
Reich, das wirtschaftlich einen gewaltigen Aufschwung nahm, geriet
jedoch bald innenpolitisch in eine Krise: Kampf gegen katholische
Kirche und Sozialdemokratie (Kulturkampf 1872-1878,
Sozialistengesetz 1878). Bismarck betrieb eine konsequente
Friedens- und Bündnispolitik unter Isolierung Frankreichs
(Zweibund 1879; Dreibund 1882; Rückversicherungsvertrag und
Mittelmeerdreibund 1887). Das Bismarck'sche System geriet mit der
Entlassung des Kanzlers 1890 durch Kaiser Wilhelm II. (1888-1918)
ins Wanken. Die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrags
beantwortete Russland mit einem Bündnis mit Frankreich. Eine
Annäherung an England wurde erschwert durch den Bau der
Hochseeflotte durch A. von Tirpitz. Die Annäherung Englands an
Frankreich und Russland wurde gefördert durch die deutsche
Marokkopolitik (Marokkokrisen). Der Versuch einer direkten
Verständigung mit England über den Flottenbau (1912) misslang.
Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand
in Sarajevo führte zur Julikrise 1914. Durch vorbehaltlose
Unterstützung der Politik Österreichs gegenüber Serbien trug
Deutschland Mitverantwortung für den Ausbruch des Krieges
(Weltkrieg 1914-1918). Deutschland war dem Mehrfrontenkrieg nicht
gewachsen. Die Oberste Heeresleitung (P. von Hindenburg, E.
Ludendorff), die lange Zeit einen Verständigungsfrieden abgelehnt
hatte, forderte im September 1918 abrupt einen sofortigen
Waffenstillstand. Dem militärischen Zusammenbruch folgte die
Novemberrevolution; Deutschland wurde Republik.
Deutschland zur Zeit der
Weimarer Republik
Die Macht lag zunächst in den Händen
sozialdemokratischer Politiker (F. Ebert, P. Scheidemann u. a.),
die ihre Hauptaufgabe darin sahen, einen geordneten Übergang von
der alten zur neuen Staatsform zu sichern. Versuche linksradikaler
Gruppen, die Revolution in sozialistischer Richtung
weiterzutreiben, wurden abgewehrt. Die im Januar 1919 gewählte,
in Weimar tagende Nationalversammlung schuf mit einer neuen
Reichsverfassung die Grundlagen für die Weimarer Republik. Der
Versailler Vertrag (1919) entmachtete Deutschland militärisch,
zwang es zur Abtretung großer Gebiete und legte ihm mit den
Reparationen schwere wirtschaftliche Lasten auf. Trotz der
Annäherung an die Sowjetunion (Rapallovertrag 1922) sah sich
Deutschland politisch-militärisch bedroht durch Frankreich sowie
durch seine anfängliche Nichtzulassung zum Völkerbund. Erst der
Locarno-Vertrag 1925 brachte eine Entspannung zwischen Deutschland
und Frankreich. Daraufhin konnte Deutschland 1926 dem Völkerbund
beitreten. Ziel der von G. Stresemann geprägten deutschen
Außenpolitik war eine friedliche Revision des Versailler
Vertrags.
Im Innern waren die ersten Jahre der Weimarer
Republik gekennzeichnet durch Inflation, Wirtschaftskrise, soziale
Unruhen und Umsturzversuche radikaler Rechts- und Linksgruppen.
Bereits 1920 verloren die Parteien, die sich uneingeschränkt zur
republikanischen Staatsform bekannten ("Weimarer
Koalition" aus SPD, DDP und Zentrum), die Mehrheit im
Reichstag. Eine kurze Periode relativer Stabilität 1924-1929
endete mit der Weltwirtschaftskrise und der damit einsetzenden
Massenarbeitslosigkeit. Seit 1930 gewann die von A. Hitler
geführte NSDAP sprunghaft an Wählerstimmen; 1932 wurde sie
stärkste Partei im Reichstag. Da sie auf keine entschlossene
Gegenwehr der demokratischen Kräfte stieß und Unterstützung von
konservativer Seite erhielt, konnte sie die Macht erringen.
Deutschland unter der
Herrschaft des Nationalsozialismus
Am 30. 1. 1933 wurde Hitler vom
Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Er
entledigte sich rasch seiner konservativen Bundesgenossen,
sicherte sich durch ein Ermächtigungsgesetz nahezu unbegrenzte
Befugnisse und verbot alle Parteien außer der eigenen. Die
Gewerkschaften wurden zerschlagen, die Grundrechte praktisch
außer Kraft gesetzt, die Pressefreiheit aufgehoben. Gegen
missliebige Personen ging das Regime mit rücksichtslosem Terror
vor; sie wurden ohne Gerichtsverfahren in Konzentrationslagern
eingekerkert. Sofort nach der Machtergreifung nahm Hitler die
Verwirklichung seines antisemitischen Programms in Angriff; es
begann mit der allmählichen Entrechtung der deutschen Juden und
endete mit der Ermordung von 6 Mio. Juden aus Deutschland und
allen besetzten europäischen Ländern während des Krieges. Beim
Tode Hindenburgs 1934 vereinigte Hitler in seiner Person das
Kanzler- und das Präsidentenamt; damit wurde er Oberster
Befehlshaber der Wehrmacht.
Bei großen Teilen der Bevölkerung fand Hitler
Zustimmung durch seine Propagandathese von der
"Volksgemeinschaft" und vor allem durch die rasche
Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Gestärkt wurde seine Stellung
durch außenpolitische Erfolge: 1933 Reichskonkordat mit dem
Vatikan, Austritt aus dem Völkerbund, 1934 Nichtangriffspakt mit
Polen, 1935 deutsch-englisches Flottenabkommen. Rückkehr des
Saarlands zum Reich und Einführung der allgemeinen Wehrpflicht,
1936 Rheinlandbesetzung, 1938 Anschluss Österreichs und des
Sudetenlands. Vor allem Großbritannien kam ihm hierbei mit seiner
Appeasement-Politik weit entgegen. Der deutsche Überfall auf die
Tschechoslowakei 1939 bewirkte eine Wende in der Haltung der
Westmächte. Am 1. 9. 1939 eröffnete Hitler mit einem Angriff den
schon lange geplanten Krieg gegen Polen, der sich zum 2. Weltkrieg
ausweitete (Weltkrieg 1939-1945).
Nach deutschen Siegen über Polen, Dänemark,
Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich, Jugoslawien und
Griechenland und erfolgreichem Vordringen in der Sowjetunion und
in Nordafrika kam es 1942 zur Wende des Krieges und zu Rückzügen
an allen Fronten. Am 20. 7. 1944 scheiterte ein vornehmlich von
Offizieren getragener Aufstand; ein Bombenattentat gegen Hitler
schlug fehl. Der Krieg wurde bis zum völligen Zusammenbruch des
Reiches fortgesetzt. Am 30. 4. 1945 beging Hitler Selbstmord. Der
von ihm testamentarisch bestimmte Nachfolger K. Dönitz ließ am
7. und 8. 5. 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen
Wehrmacht vollziehen.
Das geteilte Deutschland
Die vier Siegermächte übernahmen die oberste
Regierungsgewalt. Deutschland wurde in vier Besatzungszonen
eingeteilt, während Berlin von den vier Mächten gemeinsam
besetzt und verwaltet wurde. Die Oberbefehlshaber der vier Zonen
bildeten den Alliierten Kontrollrat.
Die Potsdamer Konferenz der Regierungschefs der
USA, der UdSSR und Großbritanniens im Juli/August 1945 billigte
die Unterstellung der Ostgebiete des Deutschen Reiches unter
polnische und sowjetische Verwaltung und die Aussiedlung der
deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten, der Tschechoslowakei
und Ungarn. Die Festlegung der Grenzen Deutschlands sollte jedoch
Sache einer späteren Friedensregelung sein.
Wegen der sich rasch verschärfenden Differenzen
zwischen den Siegermächten war der Alliierte Kontrollrat auf die
Dauer nicht arbeitsfähig. Eine einheitliche Besatzungspolitik kam
nicht zustande. Während die Wiederherstellung des politischen und
wirtschaftlichen Lebens in den drei westlichen Zonen nur langsam
in Gang kam, betrieb die UdSSR in ihrer Zone eine Politik der
politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umgestaltung im Sinne
ihrer eigenen Gesellschaftsordnung. Durch erzwungene Vereinigung
der SPD mit der KPD wurde die Sozialistische Einheitspartei
Deutschlands (SED) gegründet, die fortan - nach der
Besatzungsmacht - die bestimmende politische Kraft war. 1947
wurden die Wirtschaftsverwaltungen der amerikanischen und der
britischen Zone zusammengelegt (Bizone); die Londoner
Sechsmächte-Konferenz 1948 empfahl die Bildung eines
provisorischen Staatswesens aus den drei Westzonen als Antwort auf
die zunehmende Separation der Sowjetzone durch die UdSSR. Die
Spaltung Deutschlands wurde zum ersten Mal deutlich in der
getrennten Währungsreform 1948. Im Zusammenhang damit kam es auch
zur Spaltung Berlins und zu der zehnmonatigen Blockade Westberlins
durch die UdSSR 1948/49. Die Westmächte beriefen in ihren Zonen
einen Parlamentarischen Rat nach Bonn. Dieser verabschiedete 1949
das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. In der
sowjetischen Zone beschloss der von der SED beherrschte Deutsche
Volkskongress die Verfassung der Deutschen Demokratischen
Republik. Beide Dokumente erhoben gesamtdeutschen Anspruch. Die
Teilung Deutschlands wurde besiegelt mit der Konstituierung der
Bundesrepublik Deutschland am 7. 9. 1949 aufgrund der Wahlen zum
ersten Deutschen Bundestag und der Gründung der Deutschen
Demokratischen Republik (DDR) am 7. 10. 1949, nachdem sich der vom
Volkskongress gebildete Deutsche Volksrat als Provisorische
Volkskammer konstituiert hatte.
Die Wiedervereinigung Deutschlands blieb
zunächst das öffentlich proklamierte Ziel beider Staaten, doch
die innen- und außenpolitischen Gegensätze waren
unüberbrückbar. Die Einbeziehung der beiden Staaten in die
Bündnissysteme der jeweiligen Schutzmächte fand ihren Abschluss
1955 in dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO und
dem Beitritt der DDR zum Warschauer Pakt.
Um die Massenflucht von DDR-Bewohnern in die
Bundesrepublik Deutschland zu unterbinden, errichtete die
Regierung der DDR seit 1952 entlang der Zonengrenze umfangreiche
Sperranlagen. Flüchtlinge hatten aber noch die Möglichkeit,
über Ostberlin ungehindert nach Westberlin und von dort in die
Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Dieser Fluchtweg wurde am
13. 8. 1961 durch den Bau der Berliner Mauer abgeschnitten. Bis zu
diesem Zeitpunkt waren rund 3,5 Mio. Menschen aus der Sowjetzone
bzw. DDR nach Westen geflüchtet.
Der Mauerbau machte deutlich, dass auf absehbare
Zeit mit einer Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu rechnen
war. 1970 nahm die Bundesregierung unter W. Brandt erstmals
Kontakte auf Regierungsebene mit der DDR auf. 1972 wurde der
"Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der DDR" (Grundvertrag)
geschlossen. Die beiden Staaten verpflichteten sich,
gutnachbarliche Beziehungen zu entwickeln, auf Gewaltanwendung zu
verzichten und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit in inneren
und äußeren Angelegenheiten gegenseitig zu respektieren. Jeder
der beiden Staaten richtete am Regierungssitz des anderen eine
Ständige Vertretung ein. Die Bundesrepublik Deutschland lehnte es
jedoch ab, die DDR völkerrechtlich als Ausland anzuerkennen.
Der Grundvertrag und andere Abkommen zwischen
den beiden deutschen Staaten brachten menschliche Erleichterungen
auf verschiedenen Gebieten. Die grundlegenden Gegensätze blieben
jedoch bestehen. Um neu erwachten Hoffnungen auf Wiedervereinigung
bei der eigenen Bevölkerung zu begegnen, betrieb die DDR eine
Politik strikter "Abgrenzung" und entfernte 1974 aus
ihrer Verfassung alle Hinweise auf den Fortbestand der deutschen
Nation. Konsequent bestritt sie das Bestehen besonderer
Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten; insbesondere
forderte sie wiederholt die Anerkennung einer eigenen
DDR-Staatsbürgerschaft durch die Bundesrepublik.
Die Bundesrepublik
Deutschland
Nach der ersten Bundestagswahl 1949 bildete K.
Adenauer als Bundeskanzler eine Koalitonsregierung aus CDU/CSU,
FDP und der rechts stehenden Deutschen Partei. Diese Konstellation
- CDU/CSU mit einem oder zwei kleineren Partnern an der Regierung,
SPD in der Opposition - bestimmte die politische Landschaft der
Bundesrepublik bis 1966. Kernpunkte der Regierungspolitik waren
marktwirtschaftliche Orientierung und Integration in das System
des Westens. Gefördert durch den Marshallplan, ging der
wirtschaftliche Wiederaufbau rasch voran. Parallel verlief die
politische und auch militärische Einbeziehung in die westliche
Gemeinschaft. 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland in die
NATO aufgenommen und erhielt gleichzeitig ihre Souveränität
zurück. 1957 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Im Vordergrund der Außenpolitik der
Bundesrepublik Deutschland stand das gute Verhältnis zu den USA
und zu Frankreich. 1963 wurde ein Freundschaftsvertrag mit
Frankreich geschlossen. Eine Wiedergutmachung der durch die
nationalsozialistische Judenverfolgung verursachten materiellen
Schäden wurde 1952 durch ein Abkommen mit Israel geregelt. Die
innere Entwicklung der Bundesrepublik war gekennzeichnet durch
einen fast kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwung,
Vollbeschäftigung, wachsende soziale Stabilisierung und
Konzentration auf wenige Parteien. Unter Adenauers Nachfolger L.
Erhard (seit 1963) kam es 1966 zu einer wirtschaftlichen
Rezession. Die damit verbundenen Differenzen im Regierungslager
nötigten Erhard zum Rücktritt. Es wurde eine Regierung der
Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzler K. G.
Kiesinger gebildet, die die Rezession rasch überwand. 1968
verabschiedete sie verfassungsändernde Notstandsgesetze, gegen
die sich eine linke "außerparlamentarische Opposition"
formierte.
Nach der Bundestagswahl 1969 bildeten SPD und
FDP, die zusammen eine schwache Mehrheit besaßen, eine Regierung
unter W. Brandt. Diese erstrebte eine Normalisierung des
Verhältnisses zu den östlichen Nachbarn, was insbesondere die
Unverletzlichkeit der durch den 2. Weltkrieg geschaffenen Grenzen
einschloss. Sie schloss 1970 entsprechende Verträge mit der UdSSR
und Polen, wodurch gleichzeitig der Abschluss des
Viermächteabkommens über Berlin ermöglicht wurde, und suchte
ein "geregeltes Nebeneinander" mit der DDR herzustellen.
1973 traten die beiden deutschen Staaten gleichzeitig den
Vereinten Nationen bei. Im Innern suchte die Regierung Brandt ein
umfassendes Reformprogramm zu verwirklichen, besonders im
Bildungswesen, in der betrieblichen Mitbestimmung und bei der
sozialen Sicherheit.
1974 trat Brandt zurück, weil sich
herausstellte, dass ein enger Mitarbeiter im Dienst der
DDR-Spionage gestanden hatte. Neuer Bundeskanzler wurde H.
Schmidt, der die sozialliberale Koalition auch nach den Wahlen von
1976 und 1980 fortführte. Die Auswirkungen der 1973 einsetzenden
Wirtschaftskrise machten sich immer stärker auch in der
Bundesrepublik bemerkbar. Seit 1974 stieg die Zahl der
Arbeitslosen stark an; sie überschritt 1982 die
Zweimillionengrenze. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte
stieß auf zunehmende Schwierigkeiten. Reformvorhaben mussten
beschnitten werden. Vor allem in der jungen Generation verbreitete
sich eine ablehnende Einstellung gegenüber dem Staat und den
"etablierten" Parteien
("Staatsverdrossenheit"). Neue Bewegungen für radikalen
Umweltschutz und "alternative" Lebensformen fanden viele
Anhänger.
1982 zerbrach die Regierungskoalition. Die
FDP-Fraktion stimmte mehrheitlich für ein von der CDU/CSU
eingebrachtes, konstruktives Misstrauensvotum gegen Schmidt, das
Erfolg hatte. Neuer Bundeskanzler wurde der CDU-Vorsitzende H.
Kohl. Er bildete eine Regierung aus CDU/CSU und FDP, die
Haushaltseinsparungen vornahm und die private
Investitionstätigkeit anzuregen suchte. Vorgezogene
Bundestagswahlen 1983 sicherten den Bestand der neuen Koalition,
die auch nach den Wahlen von 1987 fortgeführt werden konnte. Eine
beträchtliche Belebung der Wirtschaft war zu verzeichnen, viele
neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, dennoch blieb die
Arbeitslosenzahl hoch.
Seit 1983 war im Bundestag - wie vorher schon in
mehreren Landesparlamenten - die neue Partei der
"Grünen" vertreten. Das bisherige Dreiparteiensystem
war damit außer Kraft gesetzt. Auf Landesebene kam es mehrfach zu
Koalitionen der SPD mit den Grünen.
Die Deutsche Demokratische
Republik
In der sowjetischen Zone war schon vor 1949 eine
gesellschaftliche Umgestaltung nach sowjetischem Vorbild
eingeleitet worden. Die SED war bereits im Besitz aller
Machtpositionen. Nach der Staatsgründung wurden zunächst die
äußeren Formen der parlamentarischen Demokratie und des
föderativen Staatsaufbaus gewahrt. 1952 wurden die fünf Länder
aufgehoben und an ihrer Stelle 14 Bezirke geschaffen. Gleichzeitig
proklamierte die SED den "Aufbau der Grundlagen des
Sozialismus", der mit verschärfter Repression und
verschlechterten Lebensbedingungen einherging. Die Unzufriedenheit
der Bevölkerung führte am 17. 6. 1953 zu einem spontanen
Aufstand, der von der Sowjetarmee niedergeschlagen wurde. Nach
vorübergehender Lockerung wurde die Parteiherrschaft wieder
gestrafft. Die Verstaatlichung der Industrie wurde in den 1950er
Jahren, die Kollektivierung der Landwirtschaft 1960 abgeschlossen.
Eine anhaltende Fluchtbewegung schwächte die Wirtschaft. Nach dem
Bau der Berliner Mauer 1961 trat eine gewisse Konsolidierung ein.
1954 wurde die DDR von der UdSSR für souverän
erklärt. Mehrere Verträge zwischen DDR und UdSSR folgten,
zuletzt 1975 ein Freundschafts- und Beistandspakt auf 20 Jahre.
1968 gab sich die DDR eine neue Verfassung, in der erstmals die
SED als "führende Kraft" erwähnt wurde. Die neben der
SED bestehenden vier "Blockparteien" waren politisch
völlig einflusslos. Das Politbüro der SED war die eigentliche
Regierung der DDR. Auch auf regionaler und örtlicher Ebene waren
die Staatsorgane den Parteiorganen untergeordnet. Die Justiz war
gleichfalls an Parteiweisungen gebunden. Der
Staatssicherheitsdienst ("Stasi") unterhielt ein alle
Lebensbereiche umfassendes Überwachungssystem.
Maßgebender Politiker der DDR war von Anfang an
W. Ulbricht, der seit 1950 als Generalsekretär (seit 1953 Erster
Sekretär) an der Spitze der SED, seit 1960 als Vorsitzender des
Staatsrates auch formell an der Spitze des Staates stand. 1971
wurde er wegen politisch-ideologischen Eigenmächtigkeiten vom
Politbüro mit sowjetischer Rückendeckung zum Rücktritt
genötigt. Der neue Parteichef E. Honecker, der 1976 auch den
Staatsratsvorsitz übernahm, bemühte sich um eine Verbesserung
der materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerung und gewährte
auch im kulturellen Leben größeren Spielraum, ohne jedoch das
Machtmonopol der SED anzutasten .
Die 1973 einsetzende Weltwirtschaftskrise wirkte
sich auch auf die DDR aus. Seit Mitte der 1970er Jahre
verschlechterte sich die Versorgung mit Konsumgütern fühlbar,
und die Entwicklung des Lebensstandards stagnierte. Der Rückstand
gegenüber der Bundesrepublik nahm immer mehr zu. Unter Berufung
auf die KSZE-Schlussakte von Helsinki (1975) bildeten sich
Ansätze einer Bürgerrechtsbewegung, die vor allem Gewährung des
Rechts auf Freizügigkeit forderte. Kritische Stimmen kamen
besonders aus Kreisen der Intellektuellen. Zahlreiche Bürger
beantragten die Übersiedlung in die Bundesrepublik. Seit Anfang
der 1980er Jahre gab die Regierung in einem gewissen Umfang
solchen Anträgen statt, um kritischen Strömungen die Wortführer
zu nehmen. Die meisten Anträge wurden jedoch abgelehnt.
Die Wiedervereinigung
Die Missstimmung in der DDR verstärkte sich, u.
a. deshalb, weil die SED-Führung eine Reformpolitik ablehnte, wie
sie M. Gorbatschow seit 1985 in der UdSSR betrieb. Kritik am
Herrschaftssystem wurde immer offener geäußert. Als Ungarn im
Sommer 1989 die Grenze zu Österreich öffnete, begann eine
Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn in die Bundesrepublik.
In den Großstädten kam es zu Massendemonstrationen für
Demokratie, Reise- und Meinungsfreiheit. Eine tiefe politische,
wirtschaftliche und moralische Krise des SED-Regimes wurde
sichtbar. Im Herbst 1989 vollzog sich in der DDR eine gewaltlose
Revolution. Honecker wurde vom Politbüro gestürzt. Sein nur
sieben Wochen amtierender Nachfolger E. Krenz vermochte das Regime
nicht zu retten, obwohl alle Reisebeschränkungen aufgehoben
wurden (Öffnung der Berliner Mauer am 9. 11.) und die neue
Regierung unter H. Modrow eine "demokratische
Erneuerung" versprach. Die SED verzichtete auf ihren
Führungsanspruch und nannte sich fortan "Partei des
Demokratischen Sozialismus" (PDS). Die Blockparteien
verselbständigten sich, und die bisher illegalen oppositionellen
Gruppen erhielten politische Mitsprache.
Die Forderung nach der Wiedervereinigung
Deutschlands, zuerst von Teilnehmern der Demonstrationen in der
DDR erhoben, gewann in beiden deutschen Staaten rasch an Boden.
Seit Anfang 1990 bekannten sich praktisch alle politischen Kräfte
zur Herstellung voller staatlicher Einheit. In der DDR bildete
sich ein neues Parteiensystem in Anlehnung an das der
Bundesrepublik heraus. Bei der ersten freien Volkskammerwahl am
18. 3. 1990 wurde die CDU stärkste Partei. Eine Regierung der
Großen Koalition unter L. de Maizière wurde gebildet. Sie
verkündete als Ziel den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach
Art. 23 des Grundgesetzes. Am 1. 7. trat eine Währungs-,
Wirtschafts- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten in
Kraft. Am 31. 8. wurde der "Einigungsvertrag"
geschlossen. Nach anfänglichem Zögern akzeptierten die vier
Siegermächte des 2. Weltkriegs die deutsche Einheit. Am 12. 9.
wurde der sog. Zwei-plus-vier-Vertrag unterzeichnet, durch den
alle Siegerrechte erloschen und Deutschland seine volle
Souveränität wiedererlangte. Die UdSSR stimmte der
NATO-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland zu . Deutschland
erkannte die Oder-Neiße-Grenze mit Polen völkerrechtlich an. Am
3. 10. 1990 wurde die Wiedervereinigung Deutschlands feierlich
vollzogen.
Das vereinigte Deutschland
Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am
2. 12. 1990 waren CDU, CSU und FDP erfolgreich. Die
Regierungskoalition unter H. Kohl wurde fortgesetzt. In den
wiederhergestellten fünf Ländern der bisherigen DDR war der
Übergang von der totalitären Diktatur zur pluralistischen
Demokratie und von der Zentralverwaltungs- zur Marktwirtschaft mit
großen wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Problemen
verbunden. Der Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen
Verwaltung und Justiz erwies sich als schwierig, da das gesamte
Rechtssystem der Bundesrepublik übernommen werden musste und es
an geeignetem unbelastetem Personal fehlte. Für die Bewältigung
der dringendsten öffentlichen Aufgaben mussten in den westlichen
Landesteilen erhebliche Mittel aufgebracht werden. Die jährlichen
Transferleistungen beliefen sich auf rund 160 Mrd. DM. Dies machte
Steuererhöhungen und hohe Kreditaufnahmen notwendig. Die zur
Verwaltung des "volkseigenen" Wirtschaftssektors
gegründete Treuhandanstalt privatisierte bis 1994 rund 15 000
bisher staatliche Betriebe. Viele Betriebe mussten jedoch wegen
mangelnder Rentabilität stillgelegt werden, was eine hohe
Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Außerdem wirkten katastrophale
Umweltschäden und ungeklärte Eigentumsverhältnisse als
Investitionshemmnis. Ein wirtschaftlicher Aufschwung kam nur
langsam in Gang und wurde durch die Rezession der Jahre 1992/93
weiter verzögert.
Nach der Bundestagswahl von 1994 blieb die
bisherige Koalition mit geschrumpfter Mehrheit im Amt. In den
östlichen Ländern erzielte die PDS beträchtliche Wahlerfolge.
Im Zusammenhang mit Strukturveränderungen der Weltwirtschaft
(sog. Globalisierung) stieg die Zahl der Arbeitslosen auf weit
über 4 Millionen an. Auseinandersetzungen über die
Finanzierbarkeit der sozialstaatlichen Leistungen bestimmten das
innenpolitische Klima der späten 1990er Jahre. Bei der
Bundestagswahl 1998 erlitt die regierende Koalition eine schwere
Niederlage. Die SPD bildete eine Koalition mit der Partei Bündnis
90/Die Grünen, die damit erstmals Regierungsverantwortung im Bund
übernahm. Bundeskanzler wurde G. Schröder (SPD). Die neue
Regierung kündigte Reformen in der Innen-, Sozial- und
Wirtschaftspolitik an, bekannte sich aber zur Fortsetzung der
bisherigen Außen- und Sicherheitspolitik. 1999 beteiligten sich
deutsche Soldaten am NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien. Im Sommer
desselben Jahres zogen Parlament und Regierung von Bonn nach
Berlin um. Eine 1999 bekannt gewordene Parteispendenaffäre
beschädigte das Ansehen des früheren Bundeskanzlers Kohl u. der
CDU. In der Gesundheits- u. Sozialpolitik bestimmten die BSE-Krise
sowie die Auseinandersetzungen über die Rentenreform die
innenpolit. Debatte. Die öffentl. Diskussionen über die Gefahren
des Rechtsextremismus für die demokrat. Ordnung mündeten im
Januar 2001 in einen Verbotsantrag der Bundesregierung gegen die
NPD beim Bundesverfassungsgericht. Außenpolit. stand für die
Regierung Schröder die Weiterführung der europ. Integration
(EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000) im Mittelpunkt. 2001 wurden
nach schwierigen Verhandlungen erste Entschädigungszahlungen an
ehemalige NS-Zwangsarbeiter geleistet.
Politik und Verfassung
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein
Bundesstaat, der am 7. 9. 1949 auf der Grundlage des Grundgesetzes
(GG) aus 11 westdeutschen Ländern gebildet wurde. Nach dem
Zusammenschluss dreier südwestdeutscher Länder zum Land
Baden-Württemberg (1952), der Rückkehr des Saarlandes zu
Deutschland (1957) und der Wiedervereinigung mit den Ländern der
bisherigen DDR (1990) besteht die Bundesrepublik Deutschland aus
16 Ländern. Die Bundeshauptstadt ist Berlin. Die Bundesflagge ist
schwarz-rot-gold.
Die Bundesrepublik Deutschland ist eine
sozialstaatliche, rechtsstaatliche und Gewalten teilende
parlamentarische und repräsentative (mittelbare) Demokratie. Ihre
Staatsbürger besitzen gegenüber der Staatsgewalt fest umrissene
Grundrechte, an die alle Staatsorgane gebunden sind. Das Volk ist
Träger der Staatsgewalt, an ihrer Ausübung aber unmittelbar nur
durch die Wahl des Bundestages und durch Abstimmungen über
gewisse Neugliederungen des Bundesgebiets beteiligt.
Staatsoberhaupt ist der Bundespräsident. Er
wird von der Bundesversammlung gewählt, einem Verfassungsorgan,
das nur zu diesem Zweck zusammentritt; sie besteht aus den
Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Zahl von Mitgliedern,
die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden. Der
Bundespräsident wird auf 5 Jahre gewählt, einmalige Wiederwahl
ist zulässig. Seine Aufgaben sind im Wesentlichen repräsentativ.
Gesetzgebungsorgane sind Bundestag und
Bundesrat. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden vom
Volk in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer
Wahl auf 4 Jahre gewählt. Durch den Bundesrat wirken die Länder
an der Gesetzgebung und Verwaltung der Bundesrepublik mit. Er
besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen oder deren
Bevollmächtigten. Ein Land hat je nach seiner Einwohnerzahl 3, 4,
5 oder 6 Stimmen im Bundesrat. Die Stimmen eines Landes können
nur einheitlich abgegeben werden. Der Bundesrat wählt aus dem
Kreis der Regierungschefs der Länder nach einem feststehenden
Turnus für jeweils ein Jahr seinen Präsidenten. Der Präsident
des Bundesrates nimmt die Befugnisse des Bundespräsidenten wahr,
wenn dieser verhindert ist.
Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen.
Sie bedürfen der förmlichen Zustimmung des Bundesrates in den
vom GG ausdrücklich vorgesehenen Fällen, vor allem dann, wenn
Interessen der Länder in besonderem Maße berührt werden. Dies
gilt insbesondere für Gesetze, die in die Finanzen oder die
Verwaltungshoheit der Länder eingreifen. Wenn die Zustimmung
nicht erforderlich ist, hat der Bundesrat das Recht zum Einspruch,
den der Bundestag überstimmen kann. Änderungen des Grundgesetzes
bedürfen der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des
Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.
Die Bundesregierung besteht aus dem
Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Bundeskanzler wird vom
Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt. Der
Bundespräsident berücksichtigt bei seinem Vorschlag die
Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Die Bundesminister werden vom
Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannt. Der
Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Die
Bundesminister leiten innerhalb dieser Richtlinien ihren
Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung. Der
Bundeskanzler kann nur durch das sog. konstruktive
Misstrauensvotum gestürzt werden: Wenn ihm der Bundestag das
Misstrauen aussprechen will, muss er zugleich mit der Mehrheit
seiner Stimmen einen Nachfolger wählen.
Die Länder der Bundesrepublik Deutschland haben
eigene Verfassungen, die in ihren Grundsätzen dem GG entsprechen.
In den meisten Ländern ist das Volk durch Volksentscheid und
Volksbegehren auch unmittelbar an der Ausübung der Staatsgewalt
beteiligt. Die Länder haben die Gesetzgebungsbefugnis auf
Gebieten, die nicht ausdrücklich dem Bunde vorbehalten sind; dies
gilt besonders für den kulturellen Bereich. Die Ausführung der
Bundesgesetze liegt grundsätzlich bei den Ländern im Auftrag des
Bundes, doch gibt es auch bundeseigene Verwaltungen. Ein
besonderes Staatsoberhaupt haben die Länder nicht. Die einem
Staatsoberhaupt zukommenden Rechte (z. B. das Gnadenrecht) werden
vom Regierungschef ausgeübt. Die Regierung eines Landes heißt
meist Landesregierung, in einigen Ländern Staatsregierung, in den
drei Stadtstaaten Senat. Der Regierungschef führt in den
Flächenstaaten den Titel Ministerpräsident, in Berlin
Regierender Bürgermeister, in Bremen Senatspräsident, in Hamburg
Erster Bürgermeister. Den Ministern der Flächenstaaten
entsprechen in den Stadtstaaten die Senatoren. Die Volksvertretung
heißt in den Flächenstaaten Landtag, in Berlin Abgeordnetenhaus,
in Bremen und Hamburg Bürgerschaft. Die Länder haben meist
eigene Verfassungsgerichte (Verfassungsgerichtshöfe,
Landesverfassungsgerichte); einige haben das
Bundesverfassungsgericht auch für
Länderverfassungsstreitigkeiten für zuständig erklärt.
Träger der Gerichtsbarkeit sind der Bund und
die Länder. Bundesgerichte sind: Bundesverfassungsgericht,
Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht,
Bundessozialgericht, Bundesfinanzhof, Bundespatentgericht,
Bundesdisziplinarhof. Alle übrigen Gerichte sind Gerichte der
Länder.
Die Rolle der Parteien im politischen
Willensbildungsprozess wird durch das GG erstmals in der deutschen
Verfassungsgeschichte ausdrücklich anerkannt. Die Parteien
müssen nach demokratischen Grundsätzen aufgebaut sein und über
die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen
öffentlich Rechenschaft geben. In dem 1998 gewählten Bundestag
sind folgende Parteien vertreten: die Christlich-Demokratische
Union Deutschlands (CDU), die Christlich-Soziale Union in Bayern
(CSU), die Freie Demokratische Partei (FDP), die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die
Grünen und die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS).
Weitere Parteien sind in den parlamentarischen Körperschaften auf
Landes- und kommunaler Ebene vertreten.
Großes gesellschaftspolitisches Gewicht
besitzen neben den Parteien auch die Interessenverbände der
Arbeitnehmer (z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund) und der
Arbeitgeber (z. B. der Bundesverband der Deutschen Industrie).
Militär
Bundeswehr, Nationale Volksarmee.
Bildungswesen
Das Grundgesetz weist mit Ausnahme weniger
Grundsatzfragen die Regelung des Schulwesens den Ländern zu (Art.
70 Abs. 1). Die Schulgesetze der Länder regeln Aufbau,
Organisation, Verwaltung und Finanzierung der öffentlichen
Schulen, die allgemeine Schulpflicht vom 6.-18. Lebensjahr, die
Schulgeld- und teilweise Lernmittelfreiheit, die Lehrerbildung
sowie das Privatschulwesen. Für eine Angleichung des Schulwesens
der Länder sorgten das Düsseldorfer Abkommen von 1955 und das
Hamburger Abkommen von 1964. Der laufenden Koordinierung dient die
Ständige Konferenz der Kultusminister.
In der (alten) Bundesrepublik hat sich aufgrund
der Bildungsreform der 1970er Jahre das Bildungsniveau deutlich
erhöht. Der Anteil der Schulabgänger eines Jahrgangs mit
Hochschul- oder Fachhochschulreife lag 1998 bei rund 30%, während
um 1950 nur 3% der Schulabgänger das Abitur hatten.
Schulaufbau
Die Grundschule ist vierklassig, in Berlin
sechsklassig. Daneben bestehen Sonderschulen für körperlich,
geistig oder seelisch benachteiligte Kinder. Auf die Grundschule
folgen weiterführende Schulen: 1. Die Hauptschule, früher die
Oberstufe der Volksschule, ist seit 1964 eine organisatorisch
selbständige Schulform. - 2. Die sechsklassige Mittelschule
(Realschule) führt nach 10 Schuljahren zur "Mittleren
Reife". - 3. Das acht- oder neunklassige Gymnasium (höhere
Schule) führt nach 12 oder 13 Schuljahren zum Abitur
(Hochschulreife). In der Oberstufe (Sekundarstufe II) ist an die
Stelle fester Klassenverbände seit 1974 ein Kurssystem getreten,
das auf eine bessere Vorbereitung auf das Hochschulstudium abzielt
und zugleich eine größere Durchlässigkeit zur Berufspraxis
schaffen soll. Es gibt drei Grundtypen von Gymnasien:
neusprachlich, altsprachlich, mathematisch-naturwissenschaftlich.
Seit Mitte der 1960er Jahre sind im Rahmen von Schulversuchen
Gesamtschulen eingeführt worden, in denen mehrere herkömmliche
Schularten zusammengefasst sind. Sie werden als Regel- oder
Angebotsschulen geführt. - 4. Kollegs und Fachoberschulen sowie
weitere Angebote des Zweiten Bildungswegs führen zum Fachabitur
oder zur Hochschulreife. - 5. Die Berufsschule besteht als
dreijährige berufsbegleitende Teilzeitschule (Berufsfachschule,
Fachschule, höhere Fachschule) oder dient als freiwillige
Vollzeitschule unterschiedlicher Dauer der Berufsweiterbildung.
Hochschulwesen
In Deutschland gibt es insgesamt 94
wissenschaftliche Hochschulen (Universitäten, technische
Hochschulen, Gesamthochschulen) sowie zahlreiche Fachhochschulen.
Zum Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule ist die
Hochschulreife (in der Regel das Reifezeugnis eines Gymnasiums)
erforderlich, zum Studium an einer Fachhochschule die
Fachhochschulreife. Für einige Studienfächer bestehen
Zulassungsbeschränkungen (Numerus clausus).
In der DDR stand das Bildungswesen wie alle
anderen staatlichen Einrichtungen unter dem beherrschenden
Einfluss der SED. Es war völlig auf die "Entwicklung der
sozialistischen Gesellschaft" ausgerichtet und streng
zentralistisch organisiert. Privatschulen waren nicht gestattet.
Es bestand zehnjährige allgemeine Schulpflicht.
Als pädagogischer Grundsatz galt die Verbindung von Unterricht
und produktiver Arbeit (polytechnischer Unterricht). Wehrerziehung
war Bestandteil des Unterrichts auf allen Stufen. Pflichtschule
war die Polytechnische Oberschule. Vom 9. Schuljahr an gab es
besondere Vorbereitungsklassen für die zweijährige Erweiterte
Oberschule (EOS), die zur Hochschulreife führte. Das berufliche
Bildungswesen war gegliedert in Berufsschulen (1. Stufe) und
Fachschulen (2. Stufe), die oft an größere Betriebe
angeschlossen waren.
Nach der Wiedervereinigung wurde das
Bildungswesen der neuen Länder größtenteils in Angleichung an
das der alten Länder aufgebaut.
Kunst
Architektur, Plastik, Malerei und Kunsthandwerk
des deutschen Sprach- und Kulturbereichs seit Bestehen des
karolingischen Reiches bildeten sich unter den Ottonen zu einer
charakteristischen, landschaftlich gebundenen Kunstsprache aus.
Angeregt von spätantiken Formen, zeigte damals die deutsche Kunst
in grundlegender Umwandlung des Übernommenen bereits bis in die
Gegenwart hinein bezeichnende Züge: Sie wurde mehr von der
Dramatik des Geschehens als vom Eigenwert der sinnlichen
Schönheit bestimmt und zog der rationalen Durchklärung der Form
einen expressiven Stil vor.
Architektur
Die ottonische Kirchenbaukunst übernahm von der
karolingischen Architektur zahlreiche Elemente, darunter das
Westwerk, überwand Vielteiligkeit und Polyzentrismus zugunsten
einer einheitlichen Weiträumigkeit; Teileinheiten wurden der
Gesamtanlage untergeordnet. Während sich die gleichzeitige
französische Kirchenbaukunst besonders auf die Gestaltung des
Ostchors konzentrierte, bildete die ottonische in ihrer reinsten
Ausprägung, der Michaeliskirche in Hildesheim, zwei gleichwertige
Raumpole aus.
Tonnengewölbe im Querschiff, in Seitenschiffen
und im Chor leiten zum Baustil der frühen Romanik über.
Deutlich unterschieden von der geschlossenen,
ungegliederten Wandfläche ottonischer Kirchen, zeigen die
romanischen Bauten eine vertikale Wandgliederung durch Dienste.
Häufig bevorzugte die deutsche Romanik die Einturmlösung, im
Gegensatz zu normannisch-französischen Zweiturmfassaden. Für die
rheinländische Kirchenarchitektur der Spätromanik, die in ihren
letzten Jahrzehnten aus dem französischen Kunstraum eindringende
gotische Baugedanken übernahm, ist ein deutlicher Höhenzug
typisch (Doppelkirche zu Schwarzrheindorf, Dreikonchenanlagen St.
Aposteln und Groß-St. Martin zu Köln). Nicht nur in den
westlichen, auch in den norddeutschen Kirchenbauten setzte sich
die Einwölbung durch (Dom zu Braunschweig).
Die Bauideen der französischen Gotik, bei der
mit dem Einheitsraum des Kathedralbaus alle Teile streng und im
Gesamtzug der Raumbewegung verschmolzen sind (Steigerung der
Raumhöhe, Entmassung der Wände, Verkürzung des Querschiffs,
weitere Ausbildung des Chors), wurden in Deutschland ohne
durchgreifende Konsequenz willkürlich umgeformt. Erstmalig
erschienen diese Elemente in Marburg und Trier, aber schon die
Bevorzugung von Hallenraum (Elisabethkirche in Marburg) und
Zentralraum (Liebfrauenkirche in Trier) zeigte Selbständigkeit
gegenüber der Raumform der französischen Gotik. Nach dem Vorbild
von Amiens wurde der Kölner Domchor gebaut, während das
Straßburger Münster Motive aus Chartre (Querschiff), St.-Denis
(Langhaus) und Notre-Dame in Paris (Querhausfassaden) vereinte.
Von Straßburg übernahm Magdeburg die französische
Dreiportalfassade. Zu größerer nationaler Selbständigkeit
gelangte die Gotik im System der Eintürmigkeit bei den
Münsterkirchen von Ulm und Freiburg im Breisgau. Eigentlich
schöpferisch wurde die deutsche gotische Baukunst erst in ihrer
Spätphase, etwa seit dem 14. Jahrhundert. Norddeutschland und die
Provinzen des deutschen Ritterordens bevorzugten die
Backsteingotik. Der Typus der Hallenkirche verbreitete sich zuerst
in Westfalen (Dom zu Minden; Wiesenkirche zu Soest); schon um die
Mitte des 14. Jahrhunderts erschien er in Franken (Frauenkirche in
Nürnberg) und Schwaben (Kreuzkirche in Schwäbisch Gmünd). Durch
die schwäbische Baumeisterfamilie Parler wurde die Hallenkirche
in Böhmen (Veitsdom zu Prag; Annaberg) heimisch. Viele Burgen
(Marienburg), Rathäuser (Lübeck, Braunschweig, Breslau,
Münster), Bürger- und Kaufhäuser (Freiburg im Breisgau) zeugen
von der Bedeutung des gotischen Profanbaus.
In der deutschen Kunst wird der Übergang zur
Renaissance im Wesentlichen in der Plastik, der Malerei und der
Grafik sichtbar; die Vorliebe für komplizierte und reiche Formen
verstellte der deutschen Baukunst zunächst den Zugang zur neuen
Struktur- und Raumlehre der Italiener. Bevor sich die
Hochrenaissance in Deutschland durchgesetzt hatte, wurde der
Einfluss von A. Palladios Klassizismus spürbar (Augsburger
Rathaus von E. Holl, seit 1610). Die Michaelskirche in München
(von F. Sustris, 1582-1597) ist stark abhängig von der
Jesuitenkirche Il Gesù in Rom. Die deutsche Baukunst des 16.
Jahrhunderts aber konzentrierte sich auf Schlösser, Rat- und
Bürgerhäuser.
Mit J. B. Fischer von Erlach, der die
vorherrschenden ausländischen Einflüsse erstmalig (1690)
überwand, kam die deutsche und österreichische Barockarchitektur
zur Geltung, gleichermaßen von kirchlichen und weltlichen
Auftraggebern gefördert.
Die expemplarischen Kunstlandschaften des 18.
Jahrhunderts lagen in Süddeutschland, wo sich französische und
italienische Stilformen des Barocks und Rokokos durchdrangen. D.
Zimmermann ( Wies) u. M. D. Pöppelmann ( Dresdner Zwinger)
vertraten den Baustil des Spätbarocks (etwa 1730-1770).
Im schroffen Gegensatz zum spätbarocken
Formenrausch brachte der Klassizismus (etwa 1770-1830), angeregt
durch die Schriften Winckelmanns, eine entscheidende Wandlung im
Verhältnis von Gesellschaft und Kunstwerk. Von nun an traten
Kunsttheorien in den Vordergrund, die aus der klassischen Bildung
erwuchsen und zum Eklektizismus führten. Die Baukunst suchte,
antiken Formen und Ordnungsprinzipien folgend, strenge
Gesetzmäßigkeit (K. F. Schinkel: Hauptwache, Altes Museum und
Schauspielhaus in Berlin; L. von Klenze: Glyptothek und Propyläen
in München).
Das 19. Jahrhundert versuchte vergangene
Stilepochen wiederzubeleben. Beeinflusst von Goethes Schrift über
das Straßburger Münster, griff Schinkel auf die Gotik zurück;
daneben begründete G. Semper ( Opernhaus und Gemäldegalerie in
Dresden) eine von der Renaissance beeinflusste Architektur, die
die Entwicklung zum Neubarock einleitete.
Die Darmstädter Ausstellung auf der
Mathildenhöhe (1901) verhalf dem Jugendstil zum Durchbruch, die
Werkbundausstellung in Köln (1914) dem expressiven Formwillen und
der funktionell-sachlichen Schönheit des "Neuen
Bauens", wie sie am konsequentesten von P. Behrens, W.
Gropius, E. Mendelsohn, L. Mies van der Rohe, H. Poelzig und den
Brüdern Taut vertreten wurden. Als Keimstätte avantgardistischer
Baugedanken erlangte das Bauhaus Weltgeltung, bis die
nationalsozialistische Kulturpolitik alle schöpferischen Kräfte
in der Architektur zum Erliegen brachte. Nach 1945 fand die
deutsche Baukunst nur langsam den Anschluss an die internationale
Architekturentwicklung. Als Hauptvertreter der deutschen
Gegenwartsarchitektur sind u. a. E. Eiermann (Neubau der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin); G. Böhm (Rathaus und
Kinderdorf in Bensberg; Kirche in Neviges), H. Scharoun
(Philharmonie in Berlin, 1963) u. R. Schwarz (Kirchen in Aachen
und Düren) sowie die Städteplaner E. May u. H. B. Reichow zu
nennen. Die Architektur der sog. Postmoderne wird vertreten durch
A. von Branca, O. M. Ungers u. a.
Plastik
Das plastische Schaffen der ottonischen Zeit wie
der mittelalterlichen Kunst überhaupt lässt sich nicht ohne
weiteres in Skulptur und Kunsthandwerk scheiden. Hauptwerke der
ottonischen Plastik sind die Madonna des Essener Münsterschatzes,
die Bronzearbeiten der Bernwardskunst in Hildesheim (Domtüren,
Bernwardssäule), Relieftüren des Doms in Augsburg und die Türen
von St. Maria im Kapitol zu Köln. Ebenso vielfältiges Material
(Bronze, Holz, Stuck, Stein, Gold) bevorzugte die salische
Plastik: Externsteine; Madonna im Liebig-Haus in Frankfurt;
Imad-Madonna in Paderborn. Besondere Bedeutung erlangte die
Goldschmiedekunst des Rhein-Maas-Gebiets, deren Blüte in der Zeit
nach 1150 lag: Altar des Nikolaus von Verdun in Klosterneuburg bei
Wien; Dreikönigsschrein in Köln. Angeregt von der französischen
Kathedralskulptur, entwickelte sich die deutsche Großplastik aus
säulenhafter Bindung zu figürlicher Darstellung. Hauptwerke der
spätromanischen Bildnerei sind die Apostel- und Prophetenfiguren
der Georgenchorschranken des Bamberger Doms mit gedrungenen
Körpern und ausdrucksvollen Gebärden.
Am Anfang der Gotik stand der Ritterliche Stil,
der mit den Figuren des Straßburger Ecclesia-Meisters (1220-30)
begann und sich von der Typenhaftigkeit der französischen Klassik
durch Neigung zur Übersteigerung unterscheidet. Außerdem wurde
in Deutschland die Einzelfigur stärker betont und aus der Gruppe
durch individuelle Merkmale herausgehoben. In Bamberg entstanden
in den Gestalten Adam und Eva die ersten großplastischen nackten
Figuren in der deutschen Kunst. Einen großartigen Abschluss fand
diese Stilepoche in den Werken des Naumburger Meisters mit den
Stifterfiguren im Westchor und Passionsszenen am Westlettner, die
sich durch starke Individualität und dramatisch-leidenschaftliche
Gebärdensprache auszeichnen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts
drang in die deutsche spätgotische Kathedralplastik das
französische System der Figureneihe ein (Zyklen in Straßburg und
Freiburg). In der sich gabelnden Stilentwicklung des 14.
Jahrhunderts entstanden viele Madonnenfiguren der eleganten,
höfischen Richtung, Andachtsbilder mit den ikonographisch neuen
Typen der Christus-Johannes-Gruppe, des Schmerzensmannes, der
Pietà und der Schutzmantelmadonna wurden geschaffen. Innerhalb
der Freiplastik setzte sich besonders die Holzskulptur durch; sie
wurde zur volkstümlichsten Kunstgattung der Spätgotik.
Grabmäler, Altäre und Chorschranken der Spätgotik tragen ein
polyphones Gepräge. Die monumentalen Hochaltäre von M. Pacher,
B. Notke, V. Stoß, T. Riemenschneider u. a.. verneinen die
isolierte und autonome Form zugunsten der verschränkten und
verflochtenen Figurenfülle. Süddeutsche Hauptmeister der
spätgotischen Plastik waren in Schwaben J. Syrlin der Ältere, in
Franken A. Kraft, P. Vischer und dessen Söhne (Sebaldusgrab,
Nürnberg).
Im 18. Jahrhundert verbanden sich Plastik,
Architektur und Deckenmalerei zu festlichen Raumschöpfungen: Die
Plastik wurde ein Teil der Architektur. Bedeutende Architekten
vereinten die Begabung des Baumeisters, Bildhauers und Malers in
einer Person (Brüder Asam). Die klassizistische Bildhauerei
erstrebte eine vereinheitlichende Gestaltung der Oberfläche (J.
H. von Dannecker, G. Schadow und C. D. Rauch). Bei M. Klinger
finden sich Tendenzen, die den Jugendstil vorbereiteten.
Die plastischen Aufgaben im 20. Jahrhundert
wurden u. a. durch die Programme der Künstlergruppen
"Brücke" und "Der Blaue Reiter" formuliert.
Den Expressionismus in der deutschen Plastik vertraten E. Barlach
und W. Lehmbruck; die ersten ungegenständlichen Formgebilde
schufen H. Arp und R. Belling. Die Brücke zwischen den Kriegen
schlugen G. Kolbe, G. Marcks, E. Matar und E. Scharff. Nach dem
Krieg dominieren abstrakte Tendenzen, so im Werk von O. H. Hajek,
K. Hartung, E. Hauser und N. Kricke. Kinetische Lichtplastiken
schufen die Gruppe Zero (H. Mack, O. Piene, G. Uecker), A. Luther
und A. Wildung. M. Buthe vertritt die Kunst des Environments, N.
Lang der Spurensicherung, K. Rinke widmet sich der Prozesskunst
und Körperdemonstrationen. Zentrale Figur des zeitgenössischen
Kunstbetriebs war J. Beuys, der mit seinem Begriff der
"sozialen Plastik" Kunst und Leben gleichsetzte.
Die Bildhauerei in der DDR vollzog in der
Nachkriegszeit den Schritt zur Abstraktion nicht, sondern beharrte
auf der demonstrativen Gebärde, wie sie die öffentlichen
Aufgaben erforderten.
Malerei
Die meisten Werke der ottonischen Wandmalerei
sind verloren; aber die Fresken der Mittelschiffwände der
Georgskirche in Oberzell, Reichenau, aus der 2. Hälfte des 10.
Jahrhunderts erlauben Rückschlüsse auf die Farbigkeit und den
flächenhaften Charakter der verschwundenen Denkmäler. Ihre
reinste Ausprägung fand die ottonische Malerei in den Miniaturen
vieler Klosterschulen, die die liturgischen Bücher in Schrift und
Bild reich ausstatteten. Das früheste erhaltene Werk der
deutschen Tafelmalerei ist das Antependium der Wiesenkirche in
Soest (um 1240).
Im 14. und noch im 15. Jahrhundert standen sich
zwei verschiedene Ausdrucksformen gegenüber: eine
höfisch-elegante der schönen Linie und eine natürliche,
kraftvolle Richtung mit individuellen Formen und diesseitigem
Ausdruck. In der Manesseschen Liederhandschrift (um 1330) wirkt
noch das linear bestimmte französische Vorbild, während in der
2. Hälfte des 14. Jahrhunderts Diesseitigkeit und Natürlichkeit
stärker herausgearbeitet wurden. Zentrum dieser Richtung war
Böhmen mit dem Meister von Hohenfurth, Meister Theoderich und dem
Meister von Wittingau, der einer der Hauptrepräsentanten des sog.
"Internationalen Stils" um 1400 wurde. Von Böhmen
gelangte dieser Stil nach Köln, Westfalen und Hamburg (Meister
Bertram, Konrad von Soest, Meister Francke) und an den Oberrhein.
In der Spätzeit des Weichen Stils, der einen Höhepunkt des
deutschen Tafelbildes brachte, wirkte S. Lochner.
Noch in die Blütezeit der Altarkunst fallen die
Anfänge der Druckgrafik, serienweise produziert und an ein
anonymes Publikum gerichtet. Diese neue Kunstgattung und die
Malerei trugen im Wesentlichen die Entwicklung der deutschen Kunst
im 16. Jahrhundert. Bei der Einbürgerung der italienischen
Renaissanceformen und -themen lagen rationale Durchformung, neues
künstlerisches Selbstbewusstsein, expressiver Überschwang und
religiöser Bekenntnisdrang nicht selten im Streit miteinander. Im
Zeichen dieser Spannungen stand das Werk von L. Cranach dem
Älteren, H. Baldung, H. Burgkmair, M. Grünewald und A.
Altdorfer. Am sinnfälligsten wird die Auseinandersetzung der
Spätgotik mit den Tendenzen der italienischen Renaissance bei A.
Dürer. Folgerichtiger und mit deutlichem Hinweis auf den
Manierismus vollzog sich der Übergang zur Renaissance im Werk H.
Holbeins des Jüngeren, besonders in seinen Porträts.
Die deutsche Malerei des 17. Jahrhunderts
unterlag in hohem Maße niederländischen und italienischen
Einflüssen. In das Bestreben, bei der Lösung größerer
künstlerischer Aufgaben eine illusionistische Gesamtwirkung zu
erreichen, wurde neben der Plastik besonders die Deckenmalerei
einbezogen. Vor allem in Süddeutschland und Österreich diente
sie der dekorativen Auflockerung fester Wandformen (F.-J. Spiegler,
F. A. Maulbertsch, J. M. Rottmayr, J. Zick, Brüder Asam). Die von
R. Mengs eingeleitete Malerei des Klassizismus pflegte vor allem
die Landschaft (P. Hackert, W. von Kobell, J. A. Koch) und das
Porträt (A. Graff, G. Schick, J. F. A. Tischbein) - immer um
Klarheit und Ausgewogenheit bemüht.
Die romantische Malerei hatte viele Gesichter.
P. O. Runge malte beseelte Porträts. K. F. Schinkel, C. D.
Friedrich, F. Olivier und C. P. Fohr drückten in ihren
Landschaften Größe und Geheimnis der Natur aus. P. von
Cornelius, E. Pforr, J. F. Overbeck und J. Schnorr von Carolsfeld
suchten mit ihren Bildern Geschichte gegenwärtig zu machen. Vom
Realismus beeinflusst malte H. Thoma, in der Tradition des
Klassizismus A. Feuerbach.
In der Zeit des Jugendstils, dessen Name sich
von der seit 1894 in München erschienenen Zeitschrift "Die
Jugend" herleitete, waren München, Dresden, Darmstadt und
Wien Kunstzentren. O. Eckmann und P. Behrens waren maßgeblich an
der Entstehung einer neuen ahistorischen, unplastischen und
unräumlichen Ornamentik beteiligt. Eine führende Stellung in der
Kunstwelt Europas brachte Deutschland der Expressionismus mit den
Künstlergruppen "Brücke" in Dresden (E. Heckel, E.-L.
Kirchner, M. Pechstein, K. Schmidt-Rottluff, O. Müller u. a.) und
"Der Blaue Reiter" in München (F. Marc, W. Kandinsky,
A. Macke, G. Münter, A. Kubin u. a.). Die vom Expressionismus
geweckten Impulse setzten sich in den Kriegs- und Nachkriegsjahren
im antibürgerlichen Protest der Surrealisten und Dadaisten (M.
Ernst, K. Schwitters, G. Grosz) fort und beeinflussten u. a. M.
Beckmann. Im Dienst des Bauhauses standen W. Kandinsky, L.
Moholy-Nagy, L. Feininger, J. Itten u. a. Die Kunstpolitik des
Dritten Reiches (Verfolgung der "entarteten Kunst")
untersagte vielen Künstlern die Tätigkeit oder zwang sie in die
Emigration. Nach dem 2. Weltkrieg dominierte die abstrakte Malerei
(W. Baumeister, K. F. Dahmen, H. Hartung, E. Meistermann, E. W.
Nay, B. Schultze, F. Winter, Wols u. a.). Die Varianten des
Colorfield-painting und der Signalmalerei vertraten W. Gaul, R.
Geiger, G. Grützke, K. Klapheck und G. Richter. Auch die Kunst
der Grafik und damit der Buchillustration erlebte einen Aufschwung
(HAP Grieshaber, H. Janssen und F. Meckseper). Der Beginn der
1980er Jahre brachte eine Wiederbelebung expressionistischer
Tendenzen im Werk von G. Baselitz, R. Fetting, D. Hacker, K. H.
Hödicke, A. Kiefer, M. Lüpertz, Salomé u. a.
In der DDR blieb die Entwicklung der Kunst nach
1945 eng mit den Vorgaben der SED verknüpft. In den 1950er Jahren
dominierte der durch Parteibeschluss verordnete sozialistische
Realismus, der nach sowjetischem Vorbild den idealisierten Helden
propagierte. So entstanden zahlreiche Arbeiterbildnisse,
Demonstrationsbilder und Industrielandschaften (B. Kretzschmar, G.
Brendel, W. Womacka, R. Bergander u. a.). Nachdem das Konzept des
"Bitterfelder Weges", das eine Verbindung von Berufs-
und Laienkunst vorsah, gescheitert war, gewannen in den 1970er
Jahren zunehmend Künstler an Bedeutung, deren stilistische
Progressivität auch dem politischen Anliegen größere
Glaubwürdigkeit verlieh und kritische Stellungnahme nicht
ausschloss, wie z. B. B. Heisig, W. Mattheuer, W. Sitte, W. Tübke,
die durch die documenta 6 (1977) auch im Westen bekannt und
anerkannt wurden.
In den 1990er Jahren stand deutsch-deutsche
Malerei im Mittelpunkt des Interesses. Die Ausstellung
"Deutschlandbilder" in Berlin zeigte 1997 die erste
gemeinsame Schau mit Kunstwerken der beiden deutschen
Nachkriegsstaaten.
Kunsthandwerk
Kleinkunst und Kunsthandwerk des deutschen
Mittelalters stehen in engem Stilzusammenhang mit der
gleichzeitigen Großkunst, besonders der Plastik. Zahlreich sind
Werke der Elfenbeinschnitzkunst aus karolingischer, ottonischer
und salischer Zeit erhalten, die häufig der Großplastik als
Vorbilder dienten. Hervorragende Leistungen gab es auch in der
Goldschmiedekunst des deutschen Manierismus unter ihrem
Hauptmeister W. Jamnitzer. Berühmte Gold- und
Silberschmiedewerkstätten besaßen Nürnberg und Augsburg. Über
bedeutende Glashütten verfügten Nürnberg, Potsdam und Kassel.
1708 wurde in Dresden das erste europäische Porzellan
hergestellt. Die deutsche Fayence zeichnete sich auch noch im 18.
Jahrhundert durch Form- und Schmuckschönheit aus; ihre
zahlreichen Gefäßtypen waren weit verbreitet. Ihre Höhepunkte
hatte die deutsche Möbel- und Textilkunst in Renaissance und
Barock durch die Verbindung einheimischer Traditionen mit fremden,
besonders französischen und holländisch-flämischen Einflüssen.
Im 19. Jahrhundert sank auf fast allen Gebieten der Kleinkunst und
des kunsthandwerklichen Gestaltens die Qualität; erst die
Bemühungen des Jugendstils, die vorbildlichen Erzeugnisse der im
Deutschen Werkbund zusammengeschlossenen Künstler und die
Verbreitung der Bauhaus-Ideen führten einen Wandel herbei.
Literatur
Frühes Mittelalter (750-1170). Die ältesten
Sprachdenkmäler stammen aus dem 8. Jahrhundert und stehen zumeist
im Dienst der christlichen Lehre; sie wurden von den Klöstern
bewahrt; es sind Glossen, Glossare, Interlinearversionen und
übersetzte geistliche Texte, ferner Grundformeln des Glaubens
(Vaterunser, Taufgelöbnis, Glaubensbekenntnis, Beichtformel,
Benediktinerregel) in der jeweils stammesmäßig gefärbten
althochdeutschen "Volkssprache". Von der
vorausgegangenen schriftlosen germanischen Dichtung hat sich
außer zwei Merseburger Zaubersprüchen nur das im 9. Jahrhundert
nebenbei aufgezeichnete Hildebrandslied erhalten. Im 10.
Jahrhundert blieb die althochdeutsche Literatur ohne Nachwirkung,
denn in der ottonischen Zeit herrschte Latein als Literatursprache
vor; nur in mündlicher Überlieferung lebten Sage, Spottlied und
Schwank weiter. - In der frühmittelhochdeutschen vorhöfischen
Zeit (etwa 1060-1170) war die Literatur zunächst von der
Weltabkehr der seelsorgerischen cluniazensischen Bewegung
bestimmt. Die Mariendichtung begann. Dann erweiterte sich das
Blickfeld durch die Kreuzzüge. Aus Frankreich kamen die ersten
ritterlichen Stoffe (Rolandslied, Alexanderroman), es entstanden
in Siegburg das zeitgeschichtliche Annolied, in Bayern die
gereimte Kaiserchronik, zu Limburg und Regensburg weltliche Epen
(Eilhart von Oberge: "Tristant und Isalde"; Trierer
Floyris), im Elsass erneuerte sich die Tiersatire (Heinrich der
Glichesaere); am Braunschweiger Hof entstand das erste
enzyklopädische Lehrbuch (Lucidarius).
Hoch- und Spätmittelalter (1170-1500). Die
Literatur des Mittelalters ist geschrieben im Latein der Kirche
und der Gelehrten (z. B. die Liedsammlung Carmina burana) oder im
Mittelhochdeutschen der ritterlichen Dichter; es sind
Geistlichendichtung, höfische Ritterdichtung und Heldendichtung
zu unterscheiden, von der Gattung her besonders Lyrik nebst
Spruchdichtung und Versepik. Die mittelalterliche Lyrik wurde
gesungen. In der Regel war der Dichter zugleich der Komponist.
Leider ist von den Melodien (Weisen) nur wenig überliefert.
Im Minnesang wurde diese Lyrik zur höfischen
Standeskunst; neben dem erotischen Minnelied gab es den Spruch,
der vorwiegend Lebensweisheit, Sittenlehre, Religiöses
ausdrückte. In beiden Arten wurde Walther von der Vogelweide
Meister: Dem Minnesang verlieh er reichen Erlebnisgehalt, und der
Spruch wurde ihm bei seinem Eintreten für die Kaiseridee zur
politischen Waffe. Als letzte Minnesänger gelten der gelehrte
Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein.
Auch das höfische Epos, der ritterliche
Versroman, war eine vom Westen formal und stofflich angeregte
Standesdichtung. Den Höhepunkt bilden Hartmann von Aue, Wolfgang
von Eschenbach und Gottfried von Straßburg. Ebenfalls um 1200
erreichte das Heldenepos (Nibelungenlied, etwas später Kudrun)
seinen Gipfel. Seit dem 14. Jahrhundert wurden sie in immer
schlechteren Handschriften überliefert und schließlich in
"Heldenbüchern" gesammelt. - Die Entwicklung zum
nüchternen bürgerlichen Realismus hin kündigte sich an in der
zeitkritischen Verserzählung "Meier Helmbrecht" von
Wernher dem Gartenaere (nach 1250) und in H. Wittenwilers
bäuerlich derbem Versepos "Der Ring" (um 1400). Weithin
beliebt waren gereimte Schwänke mit Motiven aus dem
internationalen Erzählgut; diese wurden gern einer bestimmten
Person zugeschrieben, so dem "Pfaffen Amis" von dem
Stricker (um 1230), dem "Pfarrer vom Kalenberg" von P.
Frankfurter (um 1450), dem "Neidhart Fuchs" und
schließlich dem Eulenspiegel (um 1500) oder den Schildbürgern
(1598). Die "Historia von D. Johann Fausten" ist eines
der bekanntesten Volksbücher.
Humanismus und Reformation (bis 1600). Im 15.
und 16. Jahrhundert blühte die bürgerliche Kultur der Städte.
Der Buchdruck kam auf und förderte auch das Entstehen einer
neuhochdeutschen Schriftsprache; mitwirkend waren die beiden
großen Zeitmächte: der Humanismus mit seinem die Grammatik
schulenden Vorbild des "klassischen" Lateins und die
Reformation mit M. Luthers volksnah lebendiger, ostmitteldeutscher
Bibelübersetzung. Der Humanismus, der dem mehr diesseitigen
Lebensgefühl der Renaissance entsprach, war schon im 14.
Jahrhundert aus Italien vorgedrungen, zunächst nach Böhmen, wo
1348 in Prag die erste deutsche Universität gegründet worden
war. Es entstanden Dramen nach antikem Muster, Streitschriften,
Satiren (Dunkelmännerbriefe) und wissenschaftliche Abhandlungen.
Führende Humanisten waren J. Agricola, H. Bebel, K. Celtis,
Crotus Rubeanus, Erasmus von Rotterdam, Lotichius, W. Pirckheimer,
J. Reuchlin. Insgesamt entstand eine reiche europäische
Bildungsliteratur, die manchmal von leidenschaftlicher nationaler
Gesinnung (U. von Hutten) erfüllt war. Das religiöse Schrifttum
der Reformation war hingegen meist im "gemeinen Deutsch"
verfasst; es stellte außer der theologischen Streitschrift vor
allem die Satire (T. Murner, J. Fischart), aber auch die Fabel (M.
Luther, E. Alberus) in den Dienst des Glaubenskampfs. Als
Gemeindegesang schuf M. Luther das evangelische Kirchenlied. - Die
damalige Dichtung ist bürgerlich moralisch und didaktisch oder
schwankhaft-derb. Ihr erfolgreichstes Werk war das
"Narrenschiff" des Straßburgers S. Brant, das die
Literatur des Grobianismus einleitete. Äußerst fruchtbare
Meistersinger und Stückeschreiber waren H. Sachs, J. Wickram,
dessen "Rollwagenbüchlein" weithin nachgeahmt wurde,
und der manieristische virtuose J. Fischart, der in seiner
"Geschichtsklitterung" den "Gargantua" des F.
Rabelais freizügig übertrug. Auch sonst drangen Einflüsse aus
dem Westen ein. Ein Lieblingsbuch der Zeit war der
französisch-spanische Amadis-Roman.
Das Barock (17. Jahrhundert) ist reich an
Gegensätzen. Literarisch unterscheidet man eine
höfisch-idealistische und eine volkstümlich-realistische
Richtung. Hemmungslose Hingabe an die Welt und schroffe Abkehr von
ihr in Angst und Todesgrauen standen einander gegenüber. Im
Süden und Südosten war der Bereich der Jesuitenbühnen und des
prunkvoll repräsentativen Barocktheaters; im protestantischen
Norden aber wurden die Sprachgesellschaften gegründet.
Wegbereiter war M. Opitz, dessen "Buch von der Deutschen
Poeterey" (1624) die Gesetze und Eigenwerte einer
sprachreinen deutschen Dichtung herausarbeitete.
Die Lyrik des 17. Jahrhunderts war fast durchweg
Gesellschaftsdichtung, also nicht individuell erlebt; man
bevorzugte allgemeine Themen wie Vergänglichkeit, Freundschaft,
Ruhm, Sehnsucht nach Frieden und Ruhe; im "letzten
Schlesier", in J. C. Günther, beginnt dann schon die Wendung
zur ganz persönlichen Erlebnislyrik. Hauptvertreter des
Barockdramas sind die Jesuitendramen im Süden (J. Bidermann, S.
Rettenbacher) mit ihrem gegenreformatorischen Bekehrungswillen und
ihrer Augenlust an Bühnenbild und Massenauftritt sowie die
schlesischen Tragödien und Komödien (A. Gryphius, D. C. von
Lohenstein) in ihrem christlichen Stoizismus; beide Formen kommen
vom humanistischen Schultheater und dessen Vorbild Seneca her,
häufen die theatralischen Mittel. Eigentlicher Höhepunkt des
Barocktheaters wurde aber die Oper (1. deutsche Oper
"Dafne" von M. Opitz und H. Schütz, 1627 in Torgau
aufgeführt, verloren gegangen), auch das Festspiel zu
dynastischen oder politischen Feiern (J. Rist), wie sie zumal an
den Höfen des Südens mit glänzendem Aufwand dargeboten wurden.
Bürgerlich aufgeklärter waren dann schon die vielen Schulstücke
des Zittauer Rektors C. Weise und die realistischen derben
Lustspiele von C. Reuter. - Von den Erzählern der Barockzeit
wurde im höfischen Bereich zunächst der in Italien und
Frankreich gepflegte Schäferroman übersetzt, nachgeahmt und
fortentwickelt (P. von Zesen). Dann folgten heroisch galante
Staatsromane (Anton Ulrich von Braunschweig, Andreas Heinrich
Buchholtz, D. C. von Lohenstein, H. A. von Zigler und Kliphausen:
"Asiatische Banise"), die sich zu enzyklopädischen
Kompendien der Weltbildung entfalteten. Für den volkstümlichen
Roman der mehr bürgerlichen Leserschichten bot die stärkste
Anregung der spanische Schelmenroman, dessen Held als ein
liebenswürdiger Tunichtgut, als "Picaro", durch die
Welt schweift. H. J. C. von Grimmelshausen verwandelte ihn in
seinen "Simplicissimus" (1669); er schuf damit den
ersten großen Zeitroman, der nicht nur die rohe Wirklichkeit des
30-jährigen Krieges spiegelt, sondern auch Autobiografie, Utopie,
Robinsonade und Morallesebuch in einem ist. Ein späterer
Abenteuerroman von Rang, worin zeitkritische Utopie mit der von D.
Defoe angeregten Robinsonade vereint ist, ist J. G. Schnabels
"Insel Felsenburg". Gemeint war C. Reuters satirischer
Reiseroman "Schelmuffsky" (1696).
Die Aufklärung (frühes 18. Jahrhundert) war im
Gegensatz zum Barock betont bürgerlich, ja optimistisch
weltbürgerlich eingestellt; man erstrebte Toleranz, Befreiung von
Vorurteilen, rückte autonome Vernunft in die Mitte aller
Bemühungen und suchte eine natürliche Religion an die Stelle der
übernatürlichen zu setzen. In der Literatur war zunächst der
Leipziger Professor J. C. Gottsched ihr Wortführer; er bekämpfte
im Namen klassizistischer Regeln das Pathos und den Schwulst des
Spätbarocks, fasste die grammatischen Grundregeln der deutschen
Sprache zusammen und gab nach englischem Vorbild auch
"moralische Wochenschriften" heraus. Anderswo setzte
eine "Rückkehr zur Natur" ein (B. H. Brockes, A. von
Haller), sie mischte sich oft mit Einflüssen des französischen
Hofes wie in "arkadischen" Schäferpoesien und
Naturidyllen (E. C. von Kleist, S. Geßner), in den geselligen
Liedern der Anakreontiker (F. von Hagedorn, J. W. L. Gleim, J. P.
Uz), in vielen Fabeln und Verserzählungen (C. F. Gellert) und
wohl am glücklichsten in der heiter-ironischen Lebens- und
Erzählkunst C. M. Wielands. Der Vernunft-Diktatur von J. C.
Gottsched erwuchsen immer mächtigere Gegner. Mit F. G. Klopstock
kam die gefühlsbetonende Empfindsame Dichtung, von der
Erweckungsbewegung des Pietismus angeregt, zum Durchbruch und fand
besonders Pflege im schwärmerischen Freundschaftsbund des
"Göttinger Hain", dessen Lyrik in dem "Göttinger
Musenalmanach" (1770 ff.) ihr Organ hatte. G. E. Lessing
versuchte mit seinen theaterkritischen Beiträgen in der
Hamburgischen Dramaturgie (1767-1769) die Vormachtstellung der
französischen Klassiker zu durchbrechen, indem er auf Shakespeare
sowie auf spanische Autoren hinwies. Mit "Minna von
Barnhelm", "Emilia Galotti" und "Nathan der
Weise" führte er das bürgerliche Trauerspiel ein und begann
damit die Reihe der klassischen deutschen Dramen. Die Goethezeit
(1770-1830) brachte deutsches Geistesleben in Literatur,
Philosophie und Musik zu führender Bedeutung in der Welt; man
nennt diese Blütezeit meist nach Goethe, weil er ihre wichtigsten
Phasen mitgestaltet hat. Anfangs noch ein empfindsamer
Anakreontiker des Rokokos, wurde Goethe bald zu einem jener
"Kraftkerls" der Genieperiode des Sturm und Drang (W.
Heinse, F. M. Klinger, J. A. Leisewitz, J. M. R. Lenz), die sich
für unverdorbene Natur und intuitives Fühlen und gegen die
Vernunftregeln der Aufklärung sowie gegen die sozialen
Konventionen und Missstände auflehnten. Beim Durchbruch
irrationaler Kräfte wirkten am nachhaltigsten J. G. Hamann und J.
G. Herder. Dieser führte den jungen Goethe zu den Anfangsgründen
der Sprache und der Poesie und zu Shakespeare. So entstanden der
"Urfaust", der "Götz", die Frankfurter und
Sesenheimer Lyrik und der empfindsam leidenschaftliche
"Werther", der ihn überraschend schnell berühmt
machte. - Goethes Weg zur Klassik begann in Weimar (seit 1775) und
setzte sich in Italien fort (1786-1788), wo er im Geist J. J.
Winckelmanns die Antike erlebte. Im Gedicht, im Drama
("Tasso", "Iphigenie") und im Bildungsroman
gestaltete er das Konzept einer "reinen Menschlichkeit".
Dieses Streben führte zum Freundschaftsbund mit Schiller. Nach
revolutionär freiheitlichen Dramen ("Die Räuber",
"Kabale und Liebe") hatte Schiller sich zum Dichter
einer weltgeschichtlichen Tragödie ("Don Carlos") und
umfassender Gedankenlyrik entwickelt. Im "klassischen"
Jahrzehnt (1794-1805) entstanden Schillers späte Dramen vom
"Wallenstein" bis zum "Wilhelm Tell", Goethes
"Wilhelm Meisters Lehrjahre", "Hermann und
Dorothea" und "Die natürliche Tochter". Zur
gleichen Zeit suchten die Romantiker ein neues Verhältnis zu
Volk, Staat, Geschichte, besonders zum Mittelalter und zu den
fremden Literaturen. In Jena sammelte sich ein Kreis der
Frühromantik um die Brüder A. W. und F. Schlegel, um Novalis, L.
Tieck, F. W. J. von Schelling und dessen spätere Frau Karoline.
Die Brüder Schlegel stellten Schillers Zeitschrift "Die
Horen" ihr "Athenäum" gegenüber, worin sie eine
geistvolle Literatur- und Zeitkritik übten und eine romantische
"progressive Universalpoesie" verkündeten. Novalis
prägte im "Heinrich von Ofterdingen" das romantische
Sehnsuchtssymbol der "blauen Blume"; L. Tieck schrieb
den Künstlerroman "Franz Sternbalds Wanderungen",
Märchendramen und Literaturkomödien. In jener geistig reichen
Zeit gab es auch eine Reihe von bedeutenden Einzelgängern: Jean
Paul, der als Verfasser bilderreicher Prosa ein Erfolgsautor
seiner Zeit war. In seinen Werken voll philosophischer Ideen,
bizarrer Handlungen und genialisch-wundersamer Gestalten
vereinigte er die mitfühlende Darstellung des Menschen und der
Natur mit der Satire, die auch vor der Formulierung nihilistischer
Gedankengänge nicht zurückschreckt. F. Hölderlin, der tief
religiöse Lyriker, der im Briefroman "Hyperion", im
Dramenfragment "Empedokles" und besonders in Oden,
Elegien und Hymnen vom Erlebnis eines idealen Griechenland und der
göttlichen Mächte des Daseins Zeugnis gibt; H. von Kleist, der
Dramatiker und Novellist, der die Verwirrungen der Gefühle in
einer trügerischen Wirklichkeit und die Konflikte zwischen dem
ungebändigten Ich und dem Gesetz der Gemeinschaft gestaltete.
Bekannt wurden das aus der Verbundenheit mit seiner alemannischen
Heimat geschaffene Werk des Mundartdichters J. P. Hebel und dessen
Kalendergeschichten aus dem "Rheinischen Hausfreund",
ähnlich wie zuvor die Gedichte und Geschichten von M. Claudius
aus dessen "Wandsbecker Boten".
Die Dichter der Spätromantik wirkten um 1808 in
Heidelberg; dort gaben A. von Arnim und C. Brentano die
Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" heraus. Die
Lyrik dieser Epoche ist durch Gefühlsüberschwang und
Sehnsuchtsstimmung gekennzeichnet. In der Prosa beleben die
Autoren volkstümliche Textformen wie Märchen, Volksbuch oder
Sage und verwischen bewusst die Gattungsgrenzen. (A. von Arnims
"Der tolle Invalide" und "Die Kronenwächter",
C. Brentanos "Geschichte vom braven Kasperl und schönen
Annerl", J. von Eichendorffs "Aus dem Leben eines
Taugenichts", L Tiecks "Phantasus"). Auch Berlin
wurde zum Sammelpunkt romantischen Geistes; dort eröffneten R.
Varnhagen (R. Levin), H. Herz, auch B. von Arnim ihre
literarischen Salons, und es trafen sich in der
"Mittwochsgesellschaft" F. de la Motte Fouqué und A.
von Chamisso mit E. T. A. Hoffmann, dem
"Gespensterhoffmann" vieler Fantasie- und Nachtstücke.
In Tübingen entstand (u. a. L. Uhland, L. Kerner, G. Schwab) eine
der Heimat und der deutschen Geschichte verbundene Schwäbische
Romantik, die noch bei W. Hauff und E. Mörike fortwirkte.
Im 19. Jahrhundert suchten die konservativ
Gesinnten das Erbe der Goethezeit (Goethes Spätwerk, u. a.
"Faust II", wurde als unerreichbares Ideal angesehen)
fortzuführen, aber bei ihrer Pflege von Bildung, Innerlichkeit
und formaler Schönheit gerieten sie leicht in ein Missverhältnis
zu den im praktischen Leben herrschenden Gewalten. Man hat jene
verfeinerte Bürgerkultur als Biedermeier bezeichnet und ihm sehr
verschiedene Dichter zugeordnet: so den früh resignierenden F.
Grillparzer, A. Stifter, auch F. Raimund und J. N. Nestroy, die
Meister des Wiener Volkstheaters, A. von Droste-Hülshoff und E.
Mörike in ihrer Zurückgezogenheit, ferner Formtalente wie F.
Rückert, A. von Platen, J. Geibel und den späteren Münchener
Dichterkreis. Die revolutionär gesinnten Autoren hingegen, so die
Gruppe Junges Deutschland (H. Heine, F. Börne, K. Gutzkow, H.
Laube, T. Mundt, L. Wienbarg) und politische Lyriker wie H.
Herwegh, F. Freiligrath verknüpften mit ihrer Literatur einen
politischen Anspruch, der die von ihnen kritisierte geistige
Stagnation der vorhergehenden Epoche durchbrechen und eine freie
Gesellschaftsordnung herbeiführen sollte. In diesen Kreisen
bildete sich ein neuer Stil des Journalismus heraus, der das
Schlagwort und die witzige Pointierung zu nutzen wusste; hierbei
wirkte besonders H. Heine mit seinen "Reisebildern"
folgenreich; zugleich entwickelten sich der gesellschaftskritische
Zeitroman und das polemische Zeitstück. Ein wichtiger Vertreter
der revolutionären Dramatik ist G. Büchner, in dessen Stücken
die Desillusion sowie das Infragestellen von gesellschaftlichen
Werten und bürgerlicher Moral vorherrscht ("Woyzeck",
"Dantons Tod"). Insgesamt setzte sich im 19. Jahrhundert
ein Realismus durch, der mit dem Vordringen
naturwissenschaftlicher Weltbetrachtung Hand in Hand ging. In der
Prosaepik wurde das künstlerisch Reifste auf dem Gebiet der
Erzählung, vor allem der Schicksals- und Charakternovelle
geschaffen (G. Büchners "Lenz", J. Gotthelfs
"Schwarze Spinne", F. Grillparzers "Armer
Spielmann", G. Kellers "Leute von Seldwyla",
"Sinngedicht" und "Züricher Novellen", O.
Ludwigs "Heiterethei", C. F. Meyers historische Novellen
wie "Der Heilige", E. Mörikes "Mozart auf der
Reise nach Prag", W. Raabes "Stopfkuchen", A.
Stifters "Studien", T. Storms "Aquis submersus"
und "Der Schimmelreiter"). Innerhalb der Romanliteratur
schilderte man vergangene Zeiten; zu den bekanntesten dieser
historischen Romane gehörten: W. Alexis' "Die Hosen des
Herrn von Bredow", G. Freytags "Die Ahnen", W.
Hauffs "Lichtenstein", J. V. von Scheffels
"Ekkehard", A. Stifters "Der Nachsommer",
schließlich auch gelehrte "Professorenromane" wie F.
Dahns "Kampf um Rom". Erfolgreiche Zeitromane aus der
Mitte des Jahrhunderts waren G. Freytags "Soll und
Haben", F. Spielhagens "Problematische Naturen", G.
Kellers "Der Grüne Heinrich", W. Raabes
"Hungerpastor" sowie T. Fontanes Gesellschaftsromane aus
der Welt Berlins und des märkischen Adels ("Effi
Briest", "Der Stechlin"). Von wachsender Bedeutung
wurden ferner landschaftsverbundene Werke: J. Gotthelf schrieb
seine mundartdurchwirkten Bauernromane aus dem Berner Land, der
Wiener L. Anzengruber verfasste im Anschluss an das dortige
Vorstadttheater und in liberaler Gesinnung wirkungsvolle
Volksstücke sowie realistische Romane aus bäuerlicher Welt; M.
von Ebner-Eschenbach schilderte mit verstehender Güte mährische
Dorfwelt ("Das Gemeindekind") und Mitgefühl mit den
Armen, P. Rosegger in ursprünglicher Erzählfreude seine
steirische Waldheimat. - Die niederdeutsche Literatur wurde durch
K. Groth sowie durch F. Reuter ("Ut mine Stromtid") und
J. Brinckman zu neuem Leben erweckt. Als hintergründiger Humorist
schuf der niedersächsische Malerdichter W. Busch seine bald
Allgemeingut gewordenen Bildergeschichten. - Lyriker von Rang
waren T. Fontane (besonders als Balladendichter), G. Keller, C. F.
Meyer, T. Storm; E. Mörikes Gedichte sind nicht nur Höhepunkt
seines Schaffens, sondern der nachgoetheschen Lyrik überhaupt.
Gegen Ende des Jahrhunderts wurde der
Naturalismus als neuer Stil kämpferisch verkündet. Er lenkte den
Blick besonders auf die gesellschaftlich Benachteiligten, die die
wirtschaftlichen und technischen Wandlungen wehrlos erleiden
mussten (M. Kretzers "Meister Timpe", G. Hauptmanns
"Die Weber"). Literarische Wegbereiter waren in München
die Zeitschrift "Die Gesellschaft" (Herausgeber O. Brahm,
H. Bahr, H. Holz), die spätere "Neue Rundschau".
Musterbeispiele eines "konsequenten Naturalismus" gaben
1889/90 A. Holz und J. Schlaf in ihrer Skizzensammlung "Papa
Hamlet" und in dem Drama "Familie Selicke". Das
wichtigste Ergebnis war ein mimischer Sprech- und
Darstellungsstil, der jede momentane Regung, also auch das
Triebhafte, Unartikulierte berücksichtigte. Mit der Uraufführung
von G. Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" im Oktober 1889
setzte sich der naturalistische Bühnenstil durch. Von G.
Hauptmann erschienen nun Jahr um Jahr neue Werke ("Der
Biberpelz" u. a.). Zu gleicher Zeit prägten sich auch andere
Stile aus. Mit dem naturalistischen "Sekundenstil"
berührte sich der Impressionismus, der im sinnenhaft genau
erfassten Augenblickseindruck das Eigentliche, das letzthin Wahre
und Schöne der Welt zu finden glaubte (D. von Liliencron, P.
Altenberg, H. von Hofmannsthal und A. Schnitzler). H. von
Hofmannsthal war auch Mitarbeiter an den seit 1892 erscheinenden
"Blättern für die Kunst" des geistesaristokratischen
Kreises um S. George. Ferner entstanden in jener Zeit Frühwerke
von R. Huch, A. Mombert, H. und T. Mann, R. M. Rilke, J.
Wassermann. Für die Rechte der vitalen Sinnlichkeit gegenüber
bürgerlicher konventioneller Moral kämpften R. Dehmel mit seiner
zuweilen dionysisch rauschhaften Lyrik und F. Wedekind mit seinen
oft ins Groteske und Satirische gehenden Dramen ("Frühlings
Erwachen", "Erdgeist"), die auch schon
expressionistische Züge aufweisen.
Die "wilhelminischen" Züge der Jahre
zu Beginn des 20. Jahrhunderts spiegeln sich in Werken wie H.
Manns "Untertan", C. Sternheims Komödien "Aus dem
bürgerlichen Heldenleben" oder in C. Zuckmayers
"Hauptmann von Köpenick". Von dem damaligen kulturellen
Leben zeugen zahlreiche Verlage mit ausgeprägtem Programm und
literarische Zeitschriften von eigenem Gesicht. Auch das
Theaterleben war rege, und in den Großstädten kam das
literarische Kabarett mit seiner Gebrauchslyrik auf (Berlin: E.
von Wolzogens "Überbrettl", "Schall und
Rauch"; München: "Die elf Scharfrichter"). Der Ruf
nach einer das ganze Leben erfassenden Stilwende und nach neuer
Gemeinschaft verstummte nicht mehr. Der vorwiegend dekorative,
besonders mit der Dichtung des Symbolismus verbundene Jugendstil
proklamierte eine Wiedervereinigung aller Künste mit dem Leben.
Durch das Wort des Dichters wollte S. George eine Art
Ordensbrüderschaft ("Der Stern des Bundes") gründen
und geistige Ordnung stiften. Dichter kosmogonischer Mythen wie T.
Däubler, O. zur Linde, A. Mombert entwarfen Bilderfolgen vom
ewigen und vom künftigen Menschen. Im Kreis der Neuklassik (P.
Ernst, W. von Scholz) erhoffte man sich eine Erneuerung nationaler
Identität von den Idealen der Goethezeit her und in Anknüpfung
an das tragische Weltgefühl F. Hebbels und F. Nietzsches. Bei den
Neuromantikern (H. Eulenberg, E. Hardt, Ricarda Huch, E. Stucken,
K. G. Vollmoeller) suchte man im bürgerlichen Alltag verkümmerte
elementare Lebensgefühle zu wecken, feierte Rausch, Traum und
Tod. Bei einigen frühen Expressionisten (E. Stadler, F. Werfel)
nahm der Wille zu Aufbruch und neuer Weltsicht ekstatische Züge
an, andere (J. R. Becher, G. Benn, G. Heym, G. Trakl) entwarfen
Bilder abgründigen Schreckens von der Dämonie der Großstadt,
von Verfall und Verwesung. Gattungen wie die Ballade und der
historische Roman (R. Huch, E. Strauß) gewannen neues Leben, vor
allem aber Kurzformen der Epik wie Novelle, Anekdote, Parabel (P.
Ernst, W. Schäfer, H. und T. Mann, E. Strauß, A. und S. Zweig,
F. Kafka, R. Walser). - Manche Einzelgänger jener Zeit sind
schwer einzuordnen, so M. Dauthendey, P. Scheerbart oder C.
Morgenstern. Auch formal zeigt das damalige Schaffen eine
erstaunliche Spannweite. In der Lyrik entstanden neben den
strengen Oden eines R. Borchardt oder R. A. Schröder die
verspielten Reime eines O. J. Bierbaum oder die Mittelachsenlyrik
("Phantasus") und das Neubarock ("Dafnis")
eines A. Holz. Klang- und Bildwelten von großer Intensität
entfalteten S. George, R. M. Rilke, G. Trakl; in Schreigedichten
"ballte" A. Stramm die Worte und zertrümmerte das
Satzgefüge. Unter den Dramatikern blieb G. Hauptmann der
naturalistischen Form treu ("Die Ratten"), weitete aber
seine Welt ins Traumhafte und Symbolische ("Und Pippa
tanzt"). H. von Hofmannsthal führte die
österreichisch-spanische Barocktradition fort. E. Lasker-Schüler
verwob Naturalistisches mit Visionärem ("Die Wupper");
W. Hasenclever brachte im "Sohn" das Weltgefühl einer
gegen erstarrte Autorität aufbegehrenden Jugend zur Sprache.
Nicht minder vielgestaltig war das umfangreiche Romanschaffen: L.
Frank, G. Hauptmann, H. Hesse, F. Kafka, E. von Keyserling, T.
Mann, H. Mann. Durch den 1. Weltkrieg wurde bald das brüchige
Verhältnis zwischen Staat, Volk und Literatur offenbar. Anfangs
herrschte vaterländische Begeisterung; doch bald bevorzugte man
zeitferne Bücher wie die "Indienfahrt" von W. Bonsels.
A. Döblin gestaltete in dem Großstadtroman "Berlin
Alexanderplatz" mit den Mitteln der Montagetechnik explosive
Atmosphäre.
Die Literatur der Zwanzigerjahre hat man als
Übergang vom Expressionismus zu einer "neuen
Sachlichkeit" beschrieben; in ihr verschärften sich die
Spannungen zwischen der so genannten "Asphalt"-Literatur
Berlins, das mit seinen kühnen Theaterinszenierungen (L. Jessner,
J. Fehling, E. Piscator) zu einem internationalen
Experimentierfeld wurde; die politisch engagierte Literatur (H.
Mann, E. Toller, K. Tucholsky) wuchs an und das Kriegsbuch (E.
Jünger, E. M. Remarque, L. Renn, W. Beumelburg, E. E. Dwinger, A.
Zweig) hatte seine Stunde. Zugleich führten die alten Autoren ihr
Werk fort, an sichtbarster Stelle G. Hauptmann und T. Mann,
daneben aber auch G. Benn, S. George, H. Hesse, F. Kafka, H. Mann,
R. Musil, F. Werfel u. a. Die Bühnen eroberten B. Brecht
("Die Dreigroschenoper"), F. Bruckner und C. Zuckmayer,
aber auch R. Billinger ("Rauhnacht"), A. Bronnen, B.
Frank, Komödien von C. Goetz, H. H. Jahnn, H. Johst, Klabund, M.
Mell, A. Neumann, F. Toller, F. Wolf wurden gespielt. In der Lyrik
erstarkte neben christlicher Religiosität (G. von Le Fort, R.
Schaumann, R. A. Schröder, K. Weiß) eine neue Naturmythik (G.
Britting, A. von Hatzfeld, O. Loerke, F. Schnack); andererseits
lebte das bänkelsängerische Gebrauchsgedicht, das Chanson sowie
der Song auf (B. Brecht, E. Kästner, W. Mehring, J. Ringelnatz,
K. Tucholsky). Manche der neuen Autoren waren ebenso gute
Erzähler wie Lyriker, so G. Britting, H. Carossa, M. Hausmann, A.
Schaeffer oder I. Seidel. Andere durchleuchteten die eigene Zeit,
ihre Not und ihren Wertezerfall: H. Broch, H. Fallada, O. Flake,
L. Frank, E. Glaeser, H. Kesten, R. Neumann, J. Roth, R. Schickele
("Das Erbe am Rhein"), A. Seghers. Einfallsreichtum und
liebenswürdigen Humor zeigen die Romane von E. Penzoldt und J.
Winckler.
Von 1933 bis 1945 war die deutschsprachige
Literatur in bisher unbekanntem Ausmaß politischen Einwirkungen
ausgesetzt. Die nationalsozialistische
"Reichsschrifttumskammer", die alle inländischen
Veröffentlichungen kontrollierte, forderte und förderte nur
Schrifttum, das in "Blut und Boden" verwurzelt sein und
den Idealen der "nordischen Rasse" entsprechen sollte;
sie verbot alles, was als "nichtarisch", als
ästhetenhaft, intellektualistisch erschien. Die Folge war eine
"volkshafte", oft krampfhaft-heroische, von der
menschenverachtenden nat.-soz. Ideologie durchsetzte
Gesinnungsliteratur. Die herrschende geistige Unfreiheit trieb
Autoren in die Emigration ins Ausland oder mehr oder minder
"nach innen". Jene, die bereits internationales Ansehen
besaßen, wurden für die Exilliteratur zur stärksten Stütze.
B.Brecht etwa verfasste "Mutter Courage", "Leben
des Galilei". T. Mann vollendete seinen "Joseph"-Zyklus
und deutete im "Doktor Faustus" die eigene Zeit; sein
Bruder Heinrich gestaltete seine politischen Ideale in
"König Henri Quatre" (Trilogie). Welterfolge hatten A.
Seghers ("Das siebte Kreuz"), A. Zweig und S. Zweig
("Die Welt von gestern"). Andere Emigranten behaupteten
sich "draußen" nur schwer, so A. Döblin, O. M. Graf,
J. Roth, A. Schaeffer, R. Schickele, F. von Unruh, P. Zech. Auch
in der Lyrik spiegelte sich die Not des Vertriebenendaseins wider,
und für die Dramatiker stand als deutschsprachige Bühne von Rang
fast nur das Züricher Schauspielhaus zur Verfügung. - Innerhalb
des "Reiches", wo sich meist jugendliche Poeten mit
Trommel- und Fanfarenklängen oder Sprechchören an Symbolen
geeinter Macht berauschten, kamen einige der älteren Autoren
(darunter H. Carossa, K. Edschmid, H. Fallada, O. Flake, F.
Griese, G. Hauptmann, G. von Le Fort, A. Miegel, W. Schäfer, I.
Seidel, H. Stehr, E. Strauß) den offiziellen Forderungen doch nur
bedingt entgegen, einige wagten sogar den Protest, so E. Wiechert,
der einige Zeit im KZ verbringen musste. Dagegen galt E. Jünger
mit seinem Lob des heroischen Individuums und seiner Verachtung
der zivilen, modernen Gesellschaft den Machthabern als Stütze des
deutschen Konservatismus.
Der Titel "Das Innere Reich" einer
1934 gegründeten Zeitschrift (Herausgeber P. Alverdes und K. B.
von Mechow) kennzeichnet die Lage: Man zog sich auf die
Innerlichkeit, die "ewigen Werte", auf die Natur und die
reine Sprache des Gedichts zurück. Vielgesichtig wurde die
Gestaltung historischer Welten in Erzählungen, sei es als
zeitgemäße Umdeutung als "Flucht in die Geschichte"
oder als kritische Aussage zur eigenen Zeit (H. Benrath, W.
Bergengruen, J. Klepper, H. Leip, O. Rombach, R. Schneider, F.
Thiess). Auch im Drama bevorzugte man Historisches und Mythisches
(F. Bethge, B. von Heiseler), aber auch einen pathetischen Ton (H.
Johst, E. G. Kolbenheyer, C. Langenbeck, H. Rehberg); jedoch war
handfeste Massenunterhaltung weit erfolgreicher. Autoren wie K.
Kluge, E. Roth, H. Spoerl versuchten, die Schrecken des Krieges
durch Humor zu überwinden.
Das Jahr 1945 bildet auch für die Literatur
einen tiefen Einschnitt. Nach Propaganda, Pathos und geistigem
Zwang wurde um so intensiver das erlebte Grauen, die Leere und das
Doppelbödige des Daseins bewusst. Eine
"Trümmerliteratur" des Grau in Grau entsprach einer
Existenzphilosophie vom Menschen, der in die Welt
"geworfen" ist bzw. dem von J. P. Sartre ausgeprägten
"Existenzialismus". Rasch verbreiteten sich die bislang
kaum zugänglichen Werke der Emigranten und des Auslands (E.
Hemingway, W. Faulkner, T. Wilder, T. S. Eliot; J. Giraudoux, J.
Anouilh), und als erste Nachkriegsromane erschienen u. a. H.
Hesses "Glasperlenspiel" oder F. Werfels "Stern der
Ungeborenen". Auf dem Gebiet der Lyrik wurden Werke aus dem
Nachlass Verfolgter (A. Haushofer, G. Kolmar) veröffentlicht. Auf
den Bühnen sah man W. Borcherts bitteres Heimkehrerstück
"Draußen vor der Tür" und C. Zuckmayers "Des
Teufels General", daneben Stücke von B. Brecht ("Herr
Puntila und sein Knecht Matti"), M. Frisch ("Nun singen
sie wieder"), F. Hochwälder, G. Weisenborn. Manche nahezu
Vergessene wie E. Barlach, R. Borchardt, H. Broch, F. Bruckner, E.
Canetti, S. Heym, H. H. Jahnn, K. Krauss, R. Walser, K. Weiß
rückten neu ins Bewusstsein. Leidenschaftlich diskutierte man G.
Benn, E. Jüngerund in anderer Hinsicht auch T. Mann.
Unterdes war die deutsche Literatur wiederum
aufgespalten worden. In der DDR wurde alles, was sich dem neuen
Dogma des "sozialistischen Realismus" nicht unterordnen
ließ, als formalistische oder spätkapitalistische Verfallskunst
verurteilt. Literatur und Kunst galten als Waffen im Klassenkampf.
Durch fachgemäße Anleitung hoffte man, die Werktätigen selbst
zu politisch aktivierten Darstellern und Gestaltern ihrer
Arbeitswelt heranbilden zu können. Nach dem Vorbild des späten
B. Brecht und gemäß seiner Theorie vom "epischen
Theater" entstanden Stücke, die sich mit der deutschen
Geschichte und gesellschaftlichen Strukturen auseinander setzten
(H. Baierl, P. Hacks, H. Müller). Ebenso wurden die Erzähler der
DDR auf marxistische Bewusstseinsbildung hin ausgerichtet, sowohl
die älteren (B. Apitz, W. Bredel, E. Claudius, H. Marchwitza, L.
Renn, A. Scharrer, A. Seghers, B. Uhse, F. C. Weiskopf), die fast
alle vorher Emigranten waren, als auch die Vertreter der nächsten
Generation (J. Becker, V. Braun, G. de Bruyn, F. Fühmann, H.
Kant, E. Loest, E. Neutsch, U. Plenzdorf, R. Schneider, E.
Strittmatter, Christa Wolf). In der Lyrik gab es neben Kampflied,
Sprechchor, politischem Chanson, Satire auch manche
differenzierteren, stilleren Töne, schon bei E. Arendt, W.
Biermann (seit 1976 in der Bundesrepublik Deutschland), J.
Bobrowski, S. Kirsch (seit 1977 in der Bundesrepublik
Deutschland), G. Kunert, R. Kunze (seit 1976 in der Bundesrepublik
Deutschland). Eine gewisse Freiheit der Kritik wurde S. Heym
eingeräumt, der Zeitromane und historische Erzählungen schrieb.
Erst der Sturz des SED-Regimes im Herbst 1989 brachte die
Liberalisierung der Kulturpolitik.
In der westdeutschen Literatur strebten einige
Lyriker eine "reine Schönheit" des Sprachmaterials an,
bei der alles Metaphysische und Sinndeutende, ja die
Mitteilungsfunktion überhaupt, belanglos wird. Andere waren
zumeist von der Chiffrensprache G. Trakls, von G. Benn, vom
Dadaismus oder Surrealismus beeinflusst. Hierher gehören: I.
Bachmann, P. Celan, H. Domin, H. M. Enzensberger, W. Höllerer, K.
Krolow, E. Meister, H. Piontek, P. Rühmkorf. - Von ähnlicher
Vielfalt ist die Bühnenliteratur. Starkes Interesse fanden die
zeitgeschichtlichen Dokumentarstücke, wie sie T. Dorst, H. M.
Enzensberger, G. Grass, R. Hochhuth, H. Kipphardt, P. Weiss
geboten haben. Unter den mannigfachen Theaterexperimenten
("Anti-Theater", engagiertes
"Straßentheater") erregten das meiste Aufsehen die
Sprechstücke ("Publikumsbeschimpfung",
"Kaspar") und Pantomimen von P. Handke. Oft gespielt
wurden auch: L. Ahlsen, H. Asmodi, W. Bauer, M. Braun, R. Hey, W.
Hildesheimer, S. Lenz ("Zeit der Schuldlosen"). Fast
jeder dieser Autoren schrieb auch Hör- oder Fernsehspiele. Hier
nehmen Vergangenheitsbewältigung und zeitkritische
Bestandsaufnahme thematisch den breitesten Raum ein. Seit Anfang
der 1950er Jahre gewannen einige Schriftstellervereinigungen
Einfluss auf das literarische Leben, insbesondere die "Gruppe
47" (1947-1977). Hier stellten meist jüngere Autoren ihre
Werke vor und wurden kritisch gewürdigt. Insbesondere sind zu
nennen: H. Achternbusch, I. Aichinger, A. Andersch, T. Bernhard,
H. Böll, G. Grass, U. Johnson, W. Koeppen, S. Lenz, G. Wohmann,
W. Wondratschek. In dem offeneren literarischen Klima konnten sich
auch Einzelgänger wie A. Schmidt ("Zettels Traum"), B.
Strauß, M. Walser und H. C. Artmann durchsetzen. 1961 bildete
sich die "Gruppe 61", die sich - frei von politischen
Richtlinien - mit sozialen und menschlichen Problemen der
industriellen Arbeitswelt auseinander setzte. Mitglieder waren u.
a. M. von der Grün, G. Wallraff und E. Runge.
Diesen betont politischen Tendenzen stand in den
1970er und 1980er Jahren eine Neigung zum Autobiografischen sowie
eine "Neue Subjektivität" gegenüber; die
Auseinandersetzung mit dem Elternhaus und die Emanzipation der
Frau spielen dabei eine große Rolle (E. Plessen, K. Struck, P.
Härtling, P. Henisch, E. Herhaus, H. Fichte, R. D. Brinkmann, N.
Born). Besonderen Erfolg hatte W. Kempowski mit seinen
chronikartigen Romanen, die die Zeit von 1939-1945 mit unzähligen
charakteristischen Einzelheiten wiedergeben.
Mit dem Ende der DDR und der Wiederherstellung
der staatlichen Einheit Deutschlands war auch das Ende der
deutschen Nachkriegsliteratur gekommen. Die Literatur der DDR
hatte ihre Rolle als volkserzieherisches Instrument ebenso
eingebüßt wie die westdeutsche Literatur ihre ausschließlich
politisch-moralische Funktion. Die deutsche Literatur heute
zeichnet sich durch eine Vielfalt literarischer Modelle und
ästhetischer Konzepte aus.
Quelle: Wissen.de |